Heroin ade. Die Antwort auf Hasskommentare im Netz.

Claudia ist seit 39 Jahren heroinabhängig. Seit 26 Jahren ist sie in Substitutionsbehandlung, heute nimmt sie kein Heroin mehr.

Bereits im September 2016 veröffentlichte die Deutsche Aidshilfe (DAH) ein Video zu Claudias Leben mit Drogen. Viele der Kommentare daraufhin im Netz waren feindselig, beleidigend oder einfach nur von Unwissenheit geprägt. Im Auftrag der DAH habe ich nunmehr Claudia nochmals besucht. Im Gepäck: Zehn kritische Kommentare auf das alten Video.

Ich habe bei meinem Besuch Claudia unter anderem mit folgenden Kommentaren konfrontiert:

„Es gab schon immer eine natürliche Auslese.“

„Was das die Steuerzahler kostet.“

„Die sieht mega breit aus und spricht auch so.“

„Wer als Junkie Kinder zeugt, ist verantwortungslos.“

Wie wunderbar Claudia auf all die Kommentare reagiert, seht ihr im Video.

Vorweg: Claudias Leben und das aller Menschen mit Drogenerfahrung ist ebenso liebens- und schützenswert wie das jeder anderer Person – das beinhaltet auch den Schutz vor anonymen Hasskommentaren im Netz. Deswegen werde ich in meinem Blog keinerlei Kommentare dulden, die Menschen verletzen, beleidigen oder diskriminieren.


Claudia verdient meinen höchsten Respekt. Nicht nur für ihren gemeisterten Weg raus aus der Abhängigkeit, sondern vor allem für ihren Mut so offen über ihre Erfahrungen zu sprechen. Seht selbst:

Erklärt: Was genau ist Substitution:

Substitution bedeutet Ersatz oder Ersetzung. In der Behandlung Heroinabhängiger ist die Substitution von Heroin mit anderen Opioiden ein gängiges Suchthilfeangebot. Der häufigste Ersatzstoff ist Methadon, gelegentlich wird auch Codein als Substitut von Ärzten verschrieben. Methadon mindert die Entzugssymptome, ruft aber nicht die berauschenden Wirkungen des Heroins hervor, sprich: Der „Kick“ fehlt. Werden Ersatzstoffe über einen längeren Zeitraum gegeben, können auch sie abhängig machen. Dies soll durch eine schrittweise Verringerung der verabreichten Dosis verhindert werden.

Mit der Substitution sollen vor allem die Folgeerscheinungen der Abhängigkeit gemindert werden, um die Betroffenen gesundheitlich und sozial zu stabilisieren. Den Abhängigen wird damit zunächst eine „Überlebenshilfe“ gegeben. Denn Langzeitabhängige weisen meist einen schlechten körperlichen Zustand auf, sind sozial schlecht integriert und begehen Straftaten, um Geld für den hohen Drogenbedarf zu beschaffen. Oberstes langfristiges Ziel ist es aber, die völlige Drogenabstinenz zu erreichen. Die Substitution wird stets ergänzt durch eine psycho-soziale Betreuung, die den Abhängigen bei der Wiedereingliederung in die „normale“ Lebens- und Arbeitswelt unterstützt.

Nicht jeder Heroinabhängige, der aufhören will, wird zur Substitution zugelassen. Die Heroinabhängigkeit muss länger als zwei Jahre bestehen, und vorherige abstinenzorientierte Therapieversuche müssen gescheitert sein. Generell wird abgewogen, ob der Abhängige bereit ist, sich auf die Behandlung einzulassen. Es besteht kein Recht auf Methadon, und die Substitution darf auch nicht zwangsverordnet werden.

Grundsätzlich sind zwei Substitutionsformen zu unterscheiden: befristete und unbefristete. Befristete Substitution wird auf 6 oder 12 Monate gewährt. Bei Zustimmung der Krankenkasse kann sie aber auch verlängert werden. Bei schweren körperlichen Erkrankungen wie HIV-Infektion, Krebs und Hepatitis B und C kann Methadon dauerhaft verabreicht werden.    

Quelle:drugcom.de

Brunei: Tod durch Steinigung für Homosexuelle

Wo bleiben die Sanktionen gegen Brunei von staatlicher Seite? Massive Kritik ist nicht genug.

Um was geht’s eigentlich?

Trotz massiver internationaler Kritik führt der südostasiatische Kleinstaat Brunei die Todesstrafe für Homosexuelle ein. Wenn homosexuelle Partner Sex miteinander haben, droht ihnen künftig, dass sie wie im Mittelalter zu Todegesteinigt werden.

Auf Beschluss der Regierung und mit Billigung des autoritär herrschenden Sultans Hassanal Bolkiah werden die Strafgesetze entsprechend verschärft. Grundlage dafür ist die Scharia, die islamische Rechtsprechung. Betroffen sind auch Ausländer.

Schwule und Lesben werden seit jeher unterdrückt

In der ehemaligen britischen Kolonie auf der Insel Borneo ist die große Mehrheit der etwa 500.000 Einwohner muslimischen Glaubens. Der Sultan – einer der reichsten Monarchen der Welt – regiert dort bereits seit 1967. In den vergangenen Jahren haben konservative islamische Kräfte Einfluss gewonnen. Bislang stehen auf homosexuelle Beziehungen bis zu zehn Jahre Haft. Schwule und Lesben werden seit jeher unterdrückt. Homosexualität war auch schon zu Kolonialzeiten offiziell verboten.

Vom 3. April an kann Sex zwischen Männern oder Sex zwischen Frauen nun jedoch sogar mit der Hinrichtung bestraft werden. Auch öffentliche Züchtigungen mit dem Stock sind dann möglich.

Brunei verschärft auch Strafen für Diebstahl

Verschärft werden auch die Strafen für Diebstahl. Künftig müssen Diebe damit rechnen, dass ihnen Hände und Beine amputiert werden. Amnesty International appellierte an Brunei, auf solch „grausame und unmenschliche Strafen“ zu verzichten.

Die Bundesregierung empfiehlt in den Reisehinweisen des Auswärtigen Amt allen Brunei-Besuchern, sich mit den neuen Vorschriften vertraut zu machen. Ausdrücklich heißt es: „Einzelne Straftatbestände im Scharia-Recht betreffen auch Nicht-Muslime – insbesondere, wenn ein beteiligter Teil Muslim ist.“ In Brunei gab es in jüngerer Zeit mehrfach Todesurteile. Hingerichtet wurde aber schon seit Jahren niemand mehr. (dpa)

BrexHIV: Die zweite Heilung eines HIV-Patienten

  • Der zweite Mensch weltweit ist nach einer Stammzellen-Transplantation von HIV geheilt.
  • Ob die Heilung von Dauer ist, steht dennoch nicht fest
  • Es handelt sich um einen außergewöhnlichen Einzelfall

Erst im letzten Jahr durfte ich im Rahmen der Welt-Aids-Konferenz Timothy Ray Brown persönlich kennenlernen. Er war vor mehr als zehn Jahren in der Berliner Charité von HIV befreit worden und ist unter dem Namen „Berliner Patient“ weltweit bekannt geworden.

Jetzt gelang es zum zweiten Mal Ärzt_innen in London das HI-Virus aus dem Körper eines Mannes nach einer Stammzellentranplantation zu entfernen. Der Patient erhielt die Behandlung in Folge einer Krebserkrankung. Drei Jahre nach der Stammzelltransplantation können die Forscher_innen im Blut des Patienten immer noch keine Virsupartikel nachweisen – eine Sensation.

Somit wäre der „Londoner Patient“ der zweite Mensch weltweit bei dem es gelungen ist, das HI-Virus dauerhaft aus dem Körper zu entfernen – die Person gilt in diesem Fall als von HIV „geheilt“.

Dürfen rund 37 Millionen Infizierte weltweit nun große Hoffnung hegen?

Eher nicht, meinen die Fachleute – denn in beiden Fällen waren besondere Umstände gegeben, die auf nahezu keine der Millionen HIV-Patient_innen zutreffen.

Ein besonderer Patient

Bereits 2003 wurde der Londoner Patient mit HIV diagnostiziert, im Dezember 2012 erkrankte er an Lymphdrüsenkrebs, einem Hodgkin-Lymphom. Die behandelnden Ärzte gaben ihm verschiedene Chemotherapien, die nicht recht anschlugen. Das einzige, was Hilfe versprach: eine Knochenmarktransplantation, mit der das Immunsystem des Patienten ausgetauscht werden sollte. Damit sollten auch die Krebszellen des Patienten, die aus Immunzellen entstanden waren, verschwinden. Weil eine Transplantation mit eigenen Stammzellen – die Option, die Medizinerinnen und Mediziner wegen der geringeren Nebenwirkungen bevorzugen – nicht möglich war, suchten die Ärzte in einem Knochenmarkregister nach einem Spender oder einer Spenderin.

Auf der Liste entdeckten sie eine Person, die ihre Hoffnungen hochgeschraubt haben dürfte. Der potenzielle Spender passte nicht nur genetisch recht gut zum Londoner Patienten, sondern hat auch auch noch von Natur aus eine Besonderheit in seinen Genen: Viele HIV-Stämme können ihm nichts anhaben. Eine Mutation des CCR5-Gens, das für ein Oberflächenprotein auf Immunzellen des Körpers kodiert, macht ihn resistent gegen viele HI-Viren. Das CCR5-Gen braucht das Virus (neben einem anderen Rezeptor), um in die Zellen des Immunsystems hineinzuschlüpfen. Wer wie der Spender und mit ihm nur rund ein Prozent aller Europäer zudem beide Varianten des CCR5-Gens hat, dessen Immunzellen tragen das Protein nicht auf ihrer Oberfläche. HIV hat deswegen keine Chance, die Zellen zu infizieren, es kommt schlicht nicht in sie hinein. Selbst wenn das Virus noch im Körper steckt, so die Hypothese, kann es keinen Schaden mehr anrichten. Quelle: Zeit

Somit bleibt die Hoffnung trotz der aktuellen Euphorie der Medien über diese Heilung für die HIV-Community erstmal gedämpft. Zum Thema „Kommt die HIV-Heilung?“ habe ich auch mit dem Medizinreferenten der Deutschen AIDS-Hilfe Armin Schafberger ein Video-Interview geführt.

Du findest das Interview hier:

https://flosithiv.com/2018/07/26/kommt-die-hiv-heilung/

14.000 HIV-Positive zwangsgeoutet

Wie heute Nachmittag durch dpa und andere Agenturen gemeldet, sind gegen deren Willen die Namen tausender HIV-Patienten ohne deren Zustimmung an die Öffentlichkeit gelangt.

Das Datenleck betrifft Menschen weltweit – rund 14.000 HIV-infizierte Personen seien betroffen. Verursacher dieser öffentlichen Bekanntmachung sensibler Daten ist nach ersten Angaben ein 33-jähriger US-Amerikaner.

Dieser soll die Daten von einem 36-jährigen Arzt aus Singapur, mit dem er zusammen war, gestohlen und ins Internet gestellt haben. Zum Motiv wurde bisher noch nichts bekannt.

Rausch und Reue

Soeben erschien das life+ Magazin für das ich im Nachgang der Positiven Begegnungen in Stuttgart einen Artikel verfassen durfte. Hier gibts zum Nachlesen meinen Beitrag mit dem Titel „Rausch und Reue“:

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Aktuell erschienen: Das life+ Magazin.
Herzausgeber: Deutsche AIDS-Hilfe

Rausch und Reue

Sex wie auch der Konsum von Drogen sind in der Gesellschaft immer noch tabuisiert und deshalb begleitet von Scham und Beschämung. Die Auswirkungen können einschneidend sein und sind vielen dennoch nicht bewusst.

Sex zu einer schmutzigen Sache zu machen, ist das Verbrechen unserer Zeit. Wir brauchen Liebe und Hingabe an uns, an Sex, denn Ficken ist ein Sakrament der Freude.“ Dieses Zitat des englischen Schriftstellers D. H. Lawrence ist zwar schon über 100 Jahre alt, doch es ist weiterhin gültig und bringt einen wichtigen Kern des Themenstrangs „Sex, Drugs und Safer Sex 3.0“ auf den Punkt: Der Mensch an sich ist ein verklemmtes Wesen – der eine mehr, die andere weniger –, und auch über 100 Jahre nach Entstehen des Zitats hat dessen Aussage nicht an Wahrheit verloren.

Entsprechend anregend und erhellend war es, sich im Rahmen der Positiven Begegnungen mit genau diesem Themenfeld zu beschäftigen. Menschen mit HIV wird oft ein besonders ausschweifendes Sexleben nachgesagt, sie werden teilweise sogar darauf reduziert. Aber ist das auch so? Oder ist das ganze viel weniger interessant als vermutet?

Fest steht: Sex ist in unserer Gesellschaft nach wie vor tabuisiert. Und auch der Gebrauch von Drogen, insbesondere der politisch festgelegten illegalen Substanzen, wird von einem Großteil unserer Gesellschaft sanktioniert. Umso spannender war eine von dem Psychiater und Mitarbeiter des Beratungsteams der Schwulenberatung Berlin Jan Großer geleitete Diskussion zu diesem Komplex. Spannend gerade auch, weil die Mehrzahl der Anwesenden Lust und Genuss an beiden tabuisierten Themen hatten: Sex und Drogen.

Das Gefühl der Scham begleitet uns durchs ganze Leben

Ich möchte an dieser Stelle nicht beurteilen, warum es vor allem Männer, die Sex mit Männern haben (MSM) sind, die scheinbar eine besondere Affinität zu bewusstseinsverändernden Substanzen haben. Für mich selbst aber habe ich, was meine eigenen bisherigen Konsummuster angeht, auf der diesjährigen PoBe eine Antwort auf eine Frage gefunden, die ich mir bislang noch gar nicht gestellt hatte.

Scham und Beschämung sind seit diesem PoBe-Workshop die zentralen Begriffe, wenn ich für mich selbst ehrlich nach Erklärungen für mein Konsumverhalten suche. Ich habe gelernt, dass Scham bereits ab dem zweiten Lebensjahr und somit ab dem Bewusstwerden der eigenen Individualität in unser Leben rückt. Ab diesem Moment begleitet uns die Scham unser Leben lang. Ob wir beim Unterricht ohne Hausaufgaben oder bei der Fahrkartenkontrolle ohne Ticket erwischt werden – oder eben unsere sexuellen Bedürfnisse ausleben: die Scham begleitet uns. Dabei ist sie ein natürlicher und wichtiger Wert und schützt die Grenzen der Intimität – sowohl die eigenen, als auch die der anderen. Sie hindert uns, im Tagebuch der eigenen Kinder zu lesen oder das Handy des Partners zu durchstöbern. Wir würden uns im Normalfall dafür schämen– vor uns selbst.

Ganz anders die Beschämung. Sie erfolgt von außen, kann in Form von Demütigung, Ausgrenzung oder Verletzung von Grundbedürfnissen, wie Anerkennung, Schutz oder Zugehörigkeit über uns hereinbrechen. Beides – Scham und Beschämung – hemmt unser freies Sexualleben ungemein. Mehr und mehr werden eigene Bedürfnisse, die der Befriedigung dienen, aufgrund dieser beider Faktoren zurückgestellt. Angeregt durch die Gruppendiskussion stellte ich mir selbst die Frage: Wie sehr sorgt der Konsum von Drogen in meinem eigenen Sexualleben dafür, das Gefühl von Scham und Beschämung zu verdecken?

Frei sein von Hemmungen, Scham und moralischen Zwängen

Hemmungen fallen zu lassen, sich frei zu fühlen, die Alltagsperson hinter sich zu lassen – all das kann eine Rolle im Konsumverhalten spielen. Drogen können zu einer solchen frei gelebten Sexualität ebenso einen Beitrag leisten wie sogenannte „karnevalistische Räume“. Räume, die nach eigenen Regeln und Ritualen funktionieren, in denen übliche Regeln und Moralvorstellungen nicht gelten und für deren Nutzer_innen sie gleichermaßen Fantasie- und Schutzraum darstellen und einen Ausbruch aus der Realität ermöglichen. Ob Sexclub, Mottopartys oder das heimische Spielzimmer; ob wir mit dem Anlegen von Fetischkleidung oder durch die Einnahme von Drogen in eine andere Welt springen, der Effekt ist der gleiche: Wir klinken uns für eine Zeit aus einer Welt aus, die voller Diskriminierung und Stigmatisierung, voller Ratschläge und Belehrungen darüber ist, was richtig, was falsch, was gut und böse ist.

Chemsex-Partys erfüllen gleich mehrere Bedürfnisse

Diese Distanz vom Alltag, ganz gleichgültig, ob sie durch bestimmte Kleidung, Orte, Rituale oder Drogen erreicht wird, kann wunderbar für unser Sexualleben sein. Denn sie gestattet uns, schamlos zu sein und kann helfen, Hemmungen zu überwinden und die Scham wie die Beschämung auszublenden. Das trifft im besonderen Maße zu, wenn für die Erfüllung der eigenen sexuellen Bedürfnisse hohe (äußerliche) Anforderungen gestellt werden. Immer wieder deutlich zu erleben ist das innerhalb der MSM-Community und den Möglichkeiten der neuen digitalen Medien: Welche Form von Männlichkeit, Fitness und Körperlichkeit etwa muss ich bei Dating-Plattformen wie Planetromeo, GrindR und Scruff aufbieten, um beim Online-Cruising nicht gleich durchs Raster zu fallen und gar nicht erst gesehen zu werden?

In der Summe wundert es da nicht, dass der Chemsex, also Sex in Verbindung mit bestimmten Drogen, in der schwulen Community viele User so nachhaltig erfüllt. Lustgewinn, Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, Enthemmung und karnevalistischer Raum in einem – wer kann da noch der Chemsex-Party widerstehen, die all diese Anforderungen im Kern vereint?

Scham und Beschämung sind der Anfang eines Strudels, in dem manche weiter oben und manche weiter unten mitschwimmen. Für mich war der PoBe-Workshop eine tiefgreifende Erfahrung – fast so schön wie ein ordentlicher Rausch.

Florian Winkler-Ohm ist HIV-Aktivist und engagiert sich ehrenamtlich für Hilfsangebote zugunsten drogengebrauchender Menschen. Er hält Vorträge im Bereich „Drugs & Harm Reduction“ in Aidshilfen, Schulen, Gesundheitsämter und für die Pharmaindustrie.

Nächster Termin: 29. Januar IDEA Pharma, London

#wissenverdoppeln – sag´s deinem Goldfisch

Unter dem Motto #wissenverdoppeln startet die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH) heute eine neue Kampagne. Die Botschaft: Unter Therapie ist HIV nicht mehr übertragbar.

Ich traf Kampagnenmacher Manuel Hofmann von der DAH zum Interview:

 

Nur 10 Prozent der Bevölkerung kennen diese wissenschaftliche Tatsache, ergab eine Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Die Kampagne #wissenverdoppeln fordert dazu auf, sich zu informieren und auch anderen davon zu erzählen. Erstes Etappenziel: Die Zahl der Informierten soll sich verdoppeln. Und dann immer wieder – bis alle Bescheid wissen. Die Kampagne wird mit Bundesmitteln gefördert.

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Entlastung für alle Beteiligten

„Diese gute Nachricht sollte heute zur Allgemeinbildung gehören“, sagt Ulf Hentschke-Kristal vom Vorstand der Deutschen AIDS-Hilfe. „Sie nimmt unnötige Ängste vor HIV-positiven Menschen und wirkt damit auch Ablehnung entgegen. Das Wissen sorgt für Entlastung bei Menschen mit und ohne HIV.“

Im Alltag ist eine HIV-Übertragung ohnehin ausgeschlossen – unabhängig davon, ob jemand Medikamente nimmt. Trotzdem werden Menschen mit HIV noch immer oft als Gefahr wahrgenommen. Auch das illustriert die zitierte BZgA-Befragung.

„Wenn selbst beim Sex keine Übertragung mehr möglich ist, erscheint die Angst vor einer Infektion über gemeinsam benutze Trinkgläser, Fitnessgeräte oder Toiletten hoffentlich als das, wie sie schon immer war: vollkommen abwegig“, so DAH-Vorstand Hentschke-Kristal.

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Wissenschaftliche Tatsache

Dass unter erfolgreicher Therapie selbst beim Geschlechtsverkehr keine HIV-Übertragung mehr möglich ist, beweisen mittlerweile mehrere große Studien. Beobachtet wurden in den Studien Tausende gemischt HIV-positiv-negative Paare, die über 100.000 Male auf Kondome verzichteten, ohne dass es zu einer Übertragung kam. So trägt „Schutz durch Therapie“ heute zu einer erfüllten Sexualität ohne Ängste bei.

Zwei Paare, eine HIV-positive Mutter und ein Sozialarbeiter erzählen

„Es ist toll zu erleben, wie sehr diese Nachricht die Menschen erleichtert“, erzählt Jonathan (27), Sozialarbeiter in Berlin und eines der Kampagnengesichter von #wissenverdoppeln. Und fügt hinzu: „Ich bin immer wieder überrascht, wie überrascht die Leute sind.“

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David (38) aus Berlin berichtet: „Mit der HIV-Therapie geht’s mir gut – und meine Partnerin schützt sie auch.“ Seine Freundin Silke (39) ergänzt: „Dank Therapie spielt die HIV-Infektion in unserer Beziehung keine Rolle. Für mich ist das so, als wäre er kurzsichtig: Beides ist nicht ansteckend.“

Franziska (35) hat drei Kinder, die auf natürliche Weise gezeugt wurden und zur Welt kamen. Doch sie musste lange suchen, bis sie eine aufgeklärte Geburtsklinik fand. Ihr Statement: „Dass HIV unter Therapie nicht übertragbar ist, hat nicht nur meine Lebensqualität verbessert, sondern ist auch eine wichtige Botschaft für die Gesellschaft. Alle können sich entspannen!“

Fabian (26) aus Frankfurt berichtet, wie er Angst hatte, sich zu infizieren und seinen Freund André (36) zu verlieren, als dieser sein positives Testergebnis erhielt. Drei Jahre später hat sich die Situation entkrampft: „Ich hätte damals mehr Informationen gut gebrauchen können“, zieht Fabian Bilanz.

Wie die Medikamente wirken

Eine HIV-Behandlung unterdrückt die Vermehrung von HIV im Körper. Das Virus ist dann im Blut nicht mehr nachweisbar. Dann ist auch eine Übertragung auf sexuellem Wege nicht mehr möglich. „Schutz durch Therapie“ setzt dabei die regelmäßige Einnahme der Medikamente und die regelmäßige Kontrolle des Therapieerfolges voraus.

Diskriminierung gehört noch immer zum Alltag

Dank der heute verfügbaren HIV-Medikamente kann man mit HIV alt werden und leben wie alle anderen Menschen. Erschwert wird der Alltag mit HIV aber durch Diskriminierung, die in allen Lebensbereichen vorkommt – vom privaten Umfeld über die Arbeitswelt bis zum Gesundheitswesen. Zugrunde liegen meist irrationale Ängste vor einer HIV-Infektion sowie moralische Bewertungen des (vermuteten) Lebensstils der HIV-positiven Menschen.

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Für ein selbstverständliches Miteinander

„Unser Ziel ist das ganz selbstverständliche Miteinander, das heute möglich ist – ohne Ängste, ohne Zurückweisung und Abwertung“, betont Ulf Hentschke-Kristal. „Das Wissen um die Nicht-Übertragbarkeit unter Therapie kann dazu entscheidend beitragen. In diesem Sinne: Geteiltes Wissen ist doppeltes Wissen!“

Eine Kampagne zum Mitmachen

Die Kampagne #wissenverdoppeln bietet darum verschiedene Möglichkeiten, die entlastende Botschaft zu verbreiten. Auf der Webseite können Menschen ihre Geschichte und Reaktionen posten, die sie beim Weitersagen erfahren haben. Wichtige Fakten können in sozialen Netzwerken geteilt werden. Aufkleber, Postkarte und Infoflyer animieren ebenfalls zum Weitersagen. Denn Wissen verdoppeln geht nur gemeinsam.

Mehr Infos zur Kampagne unter wissen-verdoppeln.hiv

Quelle: Deutsche AIDS-Hilfe

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Dankbar 40. Kein Grund zur Midlife-Crises.

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Langsam lässt der vom Wasserdampf des durch viel zu heißen Duschens entstandene Schleier über meinem Badspiegel die ersten Züge meines frischgebackenen 40jährigen Gesichts erkennen. Wird der sich mit bietende Blick meines vertrauten Gegenübers erste Zeichen der neuen Dekate aufweisen? Ich kann nicht warten und wische mit einem Handtuch den Spiegel trocken.

Nichts! Keine Spuren zu erkennen – alle Falten waren gestern schon da. Keine dramatischen Veränderungen in der durch zu häufiges Lachen ohnehin schon strapazierten Augenregion. Erleichterung.

Gestern bin ich 40 Jahre geworden. Damit eröffnen sich drei neue Möglichkeiten in meinem Leben: Ich bin wählbar zum Richter am Bundesverfassungsgericht, kann zum Bundespräsidenten oder zum bayerischen Ministerpräsidenten gewählt werden – was ungefähr aufs Gleiche rauskommt, zumindest in der Wahrnehmung der bisherigen bayerischen Amtsträger.

Nach kurzer Überlegung scheidet die Arbeit am Bundesverfassungsgericht für mich aus. Wer möchte schon für einen Gleichstellungsgegner und CDU-Bundestagsabgeordneten arbeiten?

Zwar soll nun doch nicht der LGBTI-feindliche CDU-Politiker Günter Krings, zurzeit parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium von Horst Seehofer, Bundesverfassungsrichter werden. Das ist die gute Nachricht. Doch auch der designierte Ersatzmann, der CDU-Bundestagsabgeordnete Stephan Harbarth, ist ein erklärter Gegner einer Gleichstellung von Lesben und Schwulen, wenn auch gemäßigter im Ton.                                                          Quelle: Queer.de

Mit dem bayerischen Ministerpräsidentenposten wird es nach dem Wegzug in die Bundeshauptstadt vor sieben Jahren und vorausgeganger jahrerlanger kritischer journalistischer Hinterfragung der Regionalpolitik auch schwierig. Als kritischer Journalist hat man in Bayern durchaus Freund_innen bei der SPD und den Grünen. Wenn der Freistaat also in den nächsten Jahren doch noch weiter den für die CSU so schmerzhaften Weg der Öffnung zu einem Mehrparteienstaat bestreitet überlege ich mir das Vorhaben gern nochmal. Vor 60 nimmt dich in der bayerischen Politik eh keiner ernst.

Was bleibt ist die Erkenntnis das ich bereits den für mich schönsten Job der Welt habe. Wen wir im SchwuZ also tagtäglich daran arbeiten ein bunter, freier, vielfältiger Ort zu sein, wenn wir ringen um gemeinsame Fortschritte und queere Lebenswelten als selbstverständlichen Teil unserer Gesellschaft jeden Tag aufs neue unter Beweis stellen, dann sind wir damit den meisten Politiker_innen um Lichtjahre voraus.

„Hat eine „Null“ Bedeutung?“ fragte mich gestern Thomas Schützenberger auf Facebook und antwortete gleich selbst:

Ich denke ja und glaube, wenn man die Zeit Revue passieren lässt und sich fragt, ob man mit 20, 30 oder 40 im Leben glücklicher war, die realistische Antwort zumindest nicht eindeutig ist. Ich behaupte ganz frech: Willkommen in der besten Zeit deines Lebens! Herzlichen Glückwunsch! (…) Mit 40 hat man mehr „standing“, hat seinen Platz im Leben, ist sich seiner bewusst und sicherer – und hat genug Energie, Kraft und Flexibilität, um etwas zu verändern. Schau auf dein Leben zurück und schau dir die Gegenwart an: Wir sitzen weltweit betrachtet auf der „Insel der Glückseligen“ und du hast dazu persönlich und privat noch allen Grund glücklich zu sein – und dies hast du auch dir selbst zu verdanken. Also: Mundwinkel zu den Öhrchen, Zähnchen zeigen, lächeln. Das Leben liebt dich.

Quelle: Thomas Schützenberger

Und er hat sowas von recht. Es ist die bisher beste Zeit meines Lebens, von der ich einst nicht gedacht habe sie zu erreichen. Als ich in frühen Jahren HIV-positiv getestet wurde war mir nicht klar, dass ich diesen Geburtstag mal feiern werde. Die Zeit damals war geprägt vom „alten“ HIV, die Selbsthilfegruppe voll von Menschen die in ihrem Leben auf mehr Beerdigungen als Geburtstagen oder Hochzeiten waren. Aber ich habe in diesen Anfangsjahren und durch wunderbare engagierte Menschen auch gelernt wie wichtig eine Community ist, wie sehr jede einzelne Person einen  Anteil leisten kann das es anderen Menschen ein Stückchen besser geht, welche Kraft eine Ehrenamt haben kann.

Ich bin dankbar für all diese Erfahrungen, dafür dass mein journalistischer Sturkopf im Kampf gegen die Stigmatisierung von Menschen mit HIV und für die Rechte von drogengebrauchenden Menschen bis heute all den Anfeindungen, Kritiken und Vorwürfen standgehalten hat. Das der Einsatz für Menschen die kaum eine Lobby haben mehr Kritik, Häme und Vorwürfe bringt als Lob und dennoch ein einzelnes Gespräch und ein Dankeschön bei einem Einsatz für die Community dich für all das entschädigt.

Und ja, es waren Zeiten dabei in denen ich mich selbst an den Abgrund und in manchen Situationen gar einen Schritt weiter manövriert habe. Es gaben Phasen des Konsums da war der Tod näher als das Leben: Kontrollverluste gehören zu einem 40jährigen Leben genauso dazu wie die schönen Erlebnisse aus all der Zeit. Schlussenlich ist man die Summe all dieser Erfahrungen. Ich versuche heute so gut es geht anderen Menschen in ähnlichen Situationen zu helfen oder sie gar davor zu bewahren. Ohne all diesen Erfahrungsschatz wäre mein Engagement wahrscheinlich nur halb so gut.

Ich habe das große Glück mit Tom einen Partner an meiner Seite zu haben, der immer für mich da war und mit dem ich so manche Herausforderung gemeinsam angehen konnte – was für ein wunderbarer Mensch.

Grund genug also dem Spiegelbild zurück zu lächeln und es auch die nächsten 40 Jahre weiter zu rasieren. Das Leben ist gut zu mir.

Herzlichen Dank allen die mir gestern gratuliert haben, mich in den 40 Jahren begleitet, unterstützt, motiviert und kritisiert haben. Die 40 fühlt sich gut an.

Die Midlife-Crises muss noch etwas warten. Das Erwachsenwerden auch.

 

 

 

Berlin: Drug-Checking startet

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Richtig tolle Neuigkeiten vermeldet heute die dpa und die Pharmazeutische Zeitung: Bereits am kommenden Donnerstag soll nunmehr nach jahrelangem Einsatz von Drogen- und Suchthilfe das Projekt „Drug-Checking“ in Berlin starten.

Drug-Checking bedeutet, dass eine offizielle Stelle etwa Pillen vom Schwarzmarkt chemisch analysiert. Es geht laut Gesundheitsverwaltung darum, möglichst genaue und umfassende Informationen über die Inhaltsstoffe und deren Dosierungen zu erhalten und die Ergebnisse publik zu machen.

Für das Projekt stehen 30.000 in diesem und 120.000 Euro im kommenden Jahr bereit. Den Zuschlag haben laut Angaben Organisationen der Berliner Drogen- und Suchthilfe erhalten. Zunächst sollen diese ein Gutachten zur rechtlichen Machbarkeit des Angebots einholen. Wegen der Rechtslage inDeutschland benötigt Berlin für das Testangebot laut Angaben eine Ausnahmegenehmigung des Bundesinstituts für Arzneimittel- und Medizinprodukte (BfArM). Selbst im Fall eines Erfolges ist völlig offen, wann und wie in Berlin tatsächlich Drogen getestet werden könnten.

Im Berliner Koalitionsvertrag kündigte Rot-Rot-Grün an, Maßnahmen zur «Verminderung der Begleitrisiken von Drogenkonsum» stärken zu wollen – Drug Checking wurde dabei als ein Baustein genannt. Solche Risiken können neben der Gesundheitsschädigung durch Wirkstoffe wie etwa Cannabis,Kokain und Ecstasy auch Verunreinigungen, das Strecken der Stoffe oder eine zu hohe Konzentration sein.

Befürworter versprechen sich vom Drug Checking neben öffentlichen Warnungen zum Beispiel vor gefährlichen Pillen auch einen besseren Zugang zu Konsumenten, um sie über Risiken aufklären zu können. Manche hoffen zudem, dass die Hersteller wegen der Kontrollen stärker auf sichere Produkte achten.

Experten analysieren beim Drug Checking kleine Proben des jeweiligen Rauschgifts per HPLC. Dabei geht es um den Anteil des Hauptwirkstoffs und die beigemischten weiteren Inhaltsstoffe. Dazu werden meist eine Tablette oder Teile davon oder 30 bis 50 Milligramm eines Pulvers benötigt, was in etwa einer Messerspitze entspricht.

In manchen Ländern gibt es seit Jahren solche Angebote. In der Schweiz bietet beispielsweise das Drogeninformationszentrum (DIZ) der Stadt Zürich zweimal in der Woche Termine an, an denen Drogen zur Analyse abgegeben werden können. Das Ergebnis kann man später erfragen. Warnungen werden auch im Internet veröffentlicht. Mehrmals pro Jahr gibt es zudem ein sogenanntes mobiles Drug Checking an verschiedenen Stellen in der Stadt. Diese Analyse dauert etwa eine halbe Stunde.

In einer der zahlreichen online veröffentlichten Warnungen heißt es etwa: «Diese XTC-Tabletten enthalten 227.6 mg bzw. 207.7 mg MDMA. Bei solch hohen Dosen können unter anderem folgende Nebenwirkungen auftreten: «Kiefer mahlen», Augen- und Nervenzucken, Kopfschmerzen, Übelkeit, Krampfanfälle, Halluzinationen.» Oder: «Der durchschnittliche Wirkstoffgehalt der im DIZ getesteten Kokainproben betrug im dritten Quartal 2018 76,2 Prozent Kokain*HCl (Hydrochlorid). Der Wirkstoffgehalt der analysierten Proben variierte stark und lag zwischen 2,3 und 98 ProzentKokain*HCl.»

Quelle: dpa / Pharmazeutische Zeitung

Herzlichen Dank allen Mitwirkenden für eure Statements, für die gemeinsame Arbeit an noch mehr Sichtbarkeit für Menschen mit HIV/Aids und den Abbau von Stigmatisierung und Diskriminierung. Ihr seid spitze!

Bis in zwei Jahren auf der nächsten PoBe oder irgendwann zuvor auf einer positiven Begegnung. Und jetzt anschauen – das war die bunte Welt der PoBe 2018:

Herzlichen Dank an meinen Schatz Thomas für Kamera & Schnitt. Knutscher!

Ich freue mich sehr, wenn ihr meinem Blog folgt – unten rechts auf FOLGEN klicken.

Ihr habt spannende Themen im Bereich HIV? Her damit.

So positiv sieht Selbshilfe aus. #PoBe2018

PoBe 2018: Was bleibt, ist Stärke.

Das waren sie also – die Positiven Begegnungen 2018 in Stuttgart. Europas größte Selbsthilfekonferenz hat in den vergangenen vier Tagen viel erreicht. Hunderte Menschen mit HIV debattierten, organisierten und feierten gemeinsam das was uns verbindet: den HIV-Status.

Während man an den Gesichtern der überraschten Stuttgarter Bevölkerung während der Demo immer noch ablesen konnte, in welchen Denkmustern die Allgemeinbevölkerung beim Thema HIV steckt, schaffte diese Konferenz bei den Teilnehmer_innen selbst vor allem eins: Empowerment.

Diese Stärkung des Miteinanders ist der Motor der Selbshilfestruktur. Alle zwei Jahre wird dieser überholt, geölt und neu zusammengesetzt – Menschen lernen sich kennen, die sonst nie etwas miteinander zu tun hätten und die der HIV-Status vereint: Frauen, People of color, Geflüchtete, Menschen mit Behinderung, Trans*- und Inter*-Menschen und eine ganze Menge Heteros – sie alle vereinen sich mit der großen Masse an schwulen Männern, und geben ein Stück weit Einblick in ihre Lebenswelt.

Das ist großartig und viel zu selten: Denn während vielfach die Community mit internen Spaltungen und gegenseitiger Ausgrenzung zu tun hat, zeigt die PoBe auch im 20. Jubiläumsjahr zu welcher gemeinsamen Power die Menschen fähig sind.

Dieser Zusammenhalt wird in Zeiten politischer Veränderungen mehr und mehr notwendig. Nur wenn es uns als HIV-Community gelingt, gemeinsam unsere Forderungen zu vertreten, entziehen wir Rechtspopulisten den Nährboden ihrer Argumentation.

Die Tage in Stuttgart beweisen: Es macht mehr Sinn, nach den auf der Hand liegenden Gemeinsamkeiten zu suchen, statt nach dem was uns vermeintlich trennt.

Die Community der HIV-positiven Menschen hat viel gemeinsam durchgestanden. Fast alle von uns haben geliebte Menschen, Freund_innen und Wegbegleiter_innen in den schlimmen Zeiten der 80er und auch noch Anfang der 90er Jahre verloren. Alle zwei Jahre wieder gedenken wir im Rahmen der PoBe an die Wegbegleiter_innen, die in den letzten zwei Jahren – zum Teil an den Spätfolgen ihrer Krankheitsgeschichte – nicht mehr bei uns sein können.

Inzwischen treffen wir uns glücklicherweise mehr auf Veranstaltungen wie dieser statt auf Beerdigungen – wir feiern das Leben und fordern die Rechte, die uns zustehen. Wir arbeiten an Themen und Konzepten mit welchen wir dem politischen Rechtsruck entgegentreten können, sprechen über die Herausforderungen die uns bei Ärzten, in unseren Familien und bei unseren Kindern in Zusammenhang mit HIV noch fordern und immer wieder über die großen Botschaften wie „Nicht nachweisbar = Nicht infektiös“.

Es wird noch eine Weile dauern, bis die Schreckensbilder der 80er Jahre dem Wissen von Übertragungswegen in der Allgemeinbevölkerung gewichen sind. Aber wir sind auf dem Weg dorthin schon ganz schön weit gekommen. Durch die Unterstützung von staatlicher Seite und Organisationen wie der Deutschen Aids-Hilfe und ihren Mitgliedsorganisationen aber allen voran durch das Engagement der vielen Menschen in der Selbsthilfe und im Ehrenamt.

Sie sind die Held_innen dieser Konferenz, egal mit welchem Einsatz sie sich beteiligt haben: ob an der Bar, beim Spendensammeln für die Konferenz, bei der Mithilfe in Workshops oder als Multiplikator_innen in ihrem Feld. Es ist immer noch nicht selbstverständlich, offen über seine HIV-Infektion zu sprechen. Nicht weil wir Scham empfinden, sondern weil die Gesellschaft uns beschämt.

Und wir sollten genau aufpassen, dass uns diese Stärke der Community nicht genommen wird: Weder von rechten Parteien noch von irgendeiner sonstigen vermeintlichen Macht. Mit viel Power und aufgeladenem Lebens-Akku treten die meisten von uns heute wieder die Heimreise an.

Morgen beginnt dann wieder der Alltag mit HIV – egal ob in der Arbeit, in der Schule, der Universität oder im Ruhestand. Die Medien werden erst wieder kurz vor dem Welt-Aids-Tag auf das Thema aufspringen – für uns Aktivist_innen ist das nicht genug. Wir kämpfen an jedem Tag für unsere Anliegen, für eine Veränderung in den Köpfen und für das erklärte Ziel: Null Diskriminierung. Das dies noch immer notwendig und längst nicht Realität ist, machten auch die vergangenen vier Tage deutlich: Letzter Termin beim Zahnarzt, offener Vermerk auf der Krankenakte, Kündigung durch Arbeitgeber_in, keine Einstellung im Polizeidienst.

Es sind die einzelnen Geschichten und Erfahrungen von Teilnehmer_innen, die dieser Konferenz den Treibstoff liefert, die sie braucht. Und es sind die Menschen selbst, die offen und geschützt in diesem Rahmen auf Andere treffen, die ihnen zuhören, verstehen und mitunter auch helfen.

Die HIV-Community hat einen großen Rucksack an Ballast zu tragen – prall gefüllt mit traumatischen Erlebnissen, Verlusten, Zurückweisung, Diskriminierung und jeder Menge Stigma. Die PoBe ist der richtige Ort gemeinsam in diesen Rucksack zu schauen, auszusortieren und uns etwas vom Ballast zu befreien. Dafür ein herzliches Dankeschön allen, die mitgeholfen haben.

Und wenn ab morgen jede_r in seinem Umfeld nur einer Person pro Woche von N = N erzählt, dann erreicht diese Botschaft doch noch rechtzeitig vor der nächsten PoBe die Masse der Menschen. Es ist wie immer: es startet mit uns. Legen wir los!

Danke an meinen Schatz Thomas für all die Bilder, die Videos und den Schnitt!

PoBe: Wir sind normaler als die Normalen hier

Von wegen Sommerloch – der August hat es in sich. Denn nach der Welt-AIDS-Konferenz in Amsterdam schließt der heißeste Monat des Jahres ab heute mit den Positiven Begegnungen (kurz: PoBe) in Stuttgart ab. Europas größte Selbsthilfekonferenz im HIV-Bereich findet in diesem Jahr zum 20. Mal statt. Gleich zu Beginn bringt es die wunderbare Schirmfrau Laura Halding-Hoppenheit auf den Punkt:

„Wir sind normaler als die Normalen hier“

Die Stimmung auf der gerade stattgefundenen Eröffnungsfeier ist großartig.

Es ist ein großes Familientreffen, mit dem Unterschied das sich hier anders als in anderen Großfamilien die meisten mögen 😉 Es ist schön, wenn sich alle zwei Jahre die Community hier wieder trifft, gemeinsam an Themen arbeitet, diskutiert und ein Zeichen für mehr Sichtbarkeit von HIV-Positiven Menschen setzt.

Schlimm genug, dass die Konferenz im Jahr 2018 immer noch nötig ist – denn noch längst ist die Lebensrealität für HIV-Positive Menschen geprägt von Stigmatisierung, Diskriminierung und Ausgrenzung: das aktzeptieren wir nicht mehr.

„Wir sind überall“ heißt der Slogan der diesjährigen PoBe. Und in der Tat: Wir sind inzwischen überall: in der Politik, in Führungspositionen, im Bett nebenan. Im KFZ-Gewerbe gleichermaßen wie im Cockpit eines Flugzeugs: alle einst gültigen Ausschlüsse in Berufen sind längst Geschichte: Mit HIV kann man alles werden.

Neben der beruflichen Sicht auf die Infektion bleibt aber immer noch die Frage: Wie gehen unsere Familien, unsere Freund_innen, unsere Partner_innen mit uns um. Wieviel Menschen hättten bedenklos Sex mit einem Menschen unter der Nachweisgrenze, der nicht mehr infektiös ist? Wie verbreitet ist das Wissen um die Nichtinfektiösität in der breiten Bevölkerung?

Leider immer noch sehr schlecht. Eine unglaubliche Prozentzahl an Befragten würde einen Menschen mit HIV nicht küssen, nicht eine gemeinsame Toilette benutzen oder vom gleichen Teller essen: Die Diskriminierungserfahrungen, die wir tagtäglich erleben, müssen ein Ende haben.

Dafür kämpfen wir gemeinsam als Community in den nächsten Tagen in Stuttgart. Ein Kampf, der nicht immer einfach ist und für den wier viel Kraft und Anstrengung benötigen um ihn physisch aber auch psychisch überstehen zu können. Ich weiß von was ich rede: Mit dem heutigen Tag endet meine Amtszeit als PositHIVes Gesicht – einem besonderen Organ der Deutschen AIDS-Hilfe.

Die Menschen, die ich in diesem Gremium kennenlernen durfte, waren großartig, emphatisch, voller Lebensenergie und Mut ihre Diagnose und Offenheit zum Wohl der Gemeinschaft einzusetzen. Dass das große Engagement von vielen Aktivist_inenn jedoch auch immer wieder an Hürden scheitert, das Grenzen von Außen gesetzt werden und Selbsthilfe nicht immer frei agieren kann, macht mich mehr und mehr fertig.

Im Rahmen der Positiven Begegnungen hier in Stuttgart wird der Film 120 bpm gezeigt – er beschreibt das atemberaubende Engagement der Act up Aktivist_innen in Frankreich zu Zeiten der größten AIDS-Krise in den 80er Jahren des letzens Jahrhunderst. Die Menschen und Akteure dieser Zeit sind mein großes Vorbild: Sie waren frei vom Gefühl angepasst agieren zu müssen, frei von auferlegten Vorgaben des Wordings, frei von Abstimmungsprozessen mit behördlich anmutendnen Strukturen.

Sie waren getrieben vom Tod der um sie herum alles vereinnahmte, was er in seine Finger bekommen konnte. Ihr Antrieb war purer Überlebenswille und die einzige Hoffnung bestand darin, die Pharmaindustrie dazu zu bringen, Medikamente die längst erforscht waren den Menschen zugänglich zu machen, die sie so dringend benötigten.

Dafür hielten sie sich an keine Vorgaben, keine Auflagen, kein Absprachen: Sie schmissen Farbbeutel mit blutroter Farbe in die Konferenzräume der Pharmaindustrie, sie stürmten Kongresse, sie kämpten für ihr Recht zu leben.

Wenn ich diesen Film als Maßstab nehme,sind unsere Aktivitäten heute lächerlich und beschämen mich. Wir haben an Antriebskraft verloren und gar nicht gemerkt wie wir Stück für Stück in ein Korsett von behördlichem Wahnsinn gedrängt wurden – aus Gründen von abhängiger Finanzierung, aus der auferlegten Bevormundung von staatlichen Behörden die sich unserem Thema annahmen und der Tatsache heraus, dass unsere Freund_innen glücklicherweise mehr und mehr dem Tod von der Schippe sprangen.

Wir haben überlebt – mit Virus und Dauermedikation. Wir sind die Gewinner_innen und dennoch nur noch ein Schatten unserer Vorreiter_innen vor denen ich heute zutiefst den Hut ziehe.

Die Selbsthilfe ist jedoch alles andere als am Ende. Sie ist lediglich in meinen Augen mitunter zu angepasst, zu bequem und zu wenig streitbar.

  • Ich wünsche mir, dass wir uns da ein Stück bewegen. Nicht aus Sentimentalität für frühere Zeiten, sondern aus purer Überzeugung dass wir auch nach wie vor der Motor der HIV- und Aids-Arbeit sind.
    • Es ist an uns zu bennenen, was schief läuft.
      Es ist an uns zu fordern, was wir brauchen.
      Es ist an uns, wir selbst zu sein.

    Ich werde es versuchen: Hier auf den Positiven Begegnungen in Stuttgart aber auch danach.

    Zu oft habe ich mich in letzter Zeit über die Funktion der Selbsthilfe geärgert, über mangelnde Unterstützung von Stellen die eigentlich für uns arbeiten sollten, statt wir für sie.

    Aber es ist eben vor allem zu allererst die Selbsterkenntnis: Wer, wenn nicht wir bestimmt was läuft. Und es ist viel Balsam für die HIV-Ativist_innenseele hier auf der PoBe so vielen Menschen zu begegnen in denen immer noch das Feuer brennt.

    Lassen wir dieses Feuer niemals zu einem unlöschbaren Brand werden, aber wenn nötig, unter die Ärsche halten, die es sich mitunter viel zu bequem in ihren staatlich bezahlten Sesseln gemacht haben.

    Selbsthifle rockt. Immer noch. Auch 2018.

    Packen wirs gemeinasam an – wir sind schließlich überall. Und wenn die Selbsthilfe eins ist dann ganz bestimmt normaler als die Normalen hier. Da hast du absolut recht, liebe Laura.

    Selbsthilfe darf alles: laut sein, unangepasst sein, fordernd sein – denn schleßlich gehts um uns. Vielleicht wird es also Zeit, dass wir wieder mal anfangen, mit blutroten Farbbeutel um uns werfen, statt Angst zu haben einen HIV-Community-Aufkleber an die Toilettenwand des Maritim-Hotel zu kleben.

    Euer Flo

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