Der zweite Tag unserer Vorkonferenzen hat begonnen und mit ihm auch heute die Vernetzung zu anderen HIV-Aktivisten aus aller Welt. Überwältigt von dem Zusammenhalt über alle Grenzen und Länder hinweg ist der Spirit den ich hier tanke kaum in Worte zu fassen.

“ HIV ist, was du drau machst.“ Florian Winkler-Ohm auf der Welt-Aids-Konferenz 2016
Jeder lächelt, überall ein „how are you“, ganz viele „free hugs“ – der Zusammenhalt im Kampf für die eine gute Sache – eine Aids-freie Welt bis 2030 – ist der Motor dieses Kongresses. Und bereits am zweiten Tag hier in Südafrika beschleicht mich das Gefühl das dieser Kongress der alle vier Jahre über 20.000 Teilnehmer – Ärzte, Pharmaunternehmen, Hilfsorganisationen und Aktivisten – zusammenbringt, auch den Treibstoff zum Motor liefert , der einen durch die nächsten vier Jahre bringen wird.
Während meine Kolleg*innen der Deutschen Delegation sich auf die anderen Vorkonferenzen verteilt haben, bin ich seit gestern auf der LIVING 2016 – jener Konferenz, welche ausschließlich von HIV-Positiven für HIV-Positive gestaltet ist.
Den zweiten Morgen nehme ich mir vor nicht zu heulen und versage erneut nach zwanzig Minuten, weil die Redner aus aller Welt hier einen so POSITIVEN Spirit versprühen, bei dem jeder Motivationstrainer einpacken kann. Kein Wunder eigentlich, haben wir doch alle hier durch unsere Infektion und den Kampf um Akzeptanz, Medikation und den Weg zurück in ein selbstbewusstes Leben mit HIV die bestmöglichste Ausbildung genossen, um nun anderen Menschen unsere Hilfe anzubieten.
Es ist großartig hier die Redner zu hören. Ich hatte bereits einmal zum Welt-AIDS-Tag die große Ehre in der Frankfurter Paulskirche zu sprechen. Auch hier kann ich meine Einstellung vielen Menschen mit auf den Weg geben. Was ich den Menschen und dir zum Thema HIV & Aids in Deutschland zu sagen habe, liest du hier:
Bei HIV & Aids denken die meisten sofort an Tod, Trauer, die 80er, „Philadelphia“ und den Welt-AIDS-Tag – 1988 wurde dieser von der WHO ins Leben gerufen. Rund um den Globus rufen seither am 1. Dezember verschiedenste Organisationen dazu auf, aktiv zu werden im Kampf gegen HIV, Solidarität zu zeigen mit Infizierten und all derer zu gedenken, die den Kampf gegen die Erkrankung verloren haben.
Seit 1988 hat sich jedoch vieles verändert. Hochwirksame Medikamente und ein breiter Therapieerfolg sorgen zumindest hierzulande dafür, dass sich das Gesicht von HIV gewandelt hat. Zumindest im medizinischen Bereich.
Ganz anders sieht es da jedoch beim breiten Wissen in der Bevölkerung aus, bei der Angst vor möglichen Infektionen beim Kontakt mit Positiven und bei so manchem Arbeitgeber. Noch zu tief sitzen in der Generation 40+ die Schreckensbilder der 80er-Jahre, zu viele negative Meldungen mit Wörtern wie „Seuche“, „Epidemie“ und „tödliche Ansteckungsgefahr“ wurden von meinen Journalistenkollegen hierfür verfasst. Berichte über wirksame Medikationen, über den neuen Schutz durch Therapie für diskordante Paare (eine/r Positiv, eine/r Negativ) und eine Wende hin zu einer chronischen Erkrankung findet man auch im Rahmen der Berichterstattung meiner Meinung nach noch immer viel zu wenig.
Ich selbst bin seit über zehn Jahren positiv. Und mit mir wächst eine neue Generation von Positiven in Deutschland heran. Eine Generation, die von Anfang an in den Genuss hochwirksamer Therapien kommt und für die HIV nicht mehr zwangsläufig mit den Schreckensbildern der Vergangenheit behaftet ist. Und schaut man sich die neuen Zahlen des Robert Koch-Instituts an, stellen wir fest: Rund 83.000 Menschen leben inzwischen deutschlandweit mit dem Virus, davon rund 13.000 unter Therapie. (Stand: 2014/RKI)
Ist das nicht eine großartige Entwicklung, sich ernsthaft darüber Gedanken machen zu können, ob HIV-Hilfe nicht der passendere Begriff ist? Zeigt nicht allein diese Tatsache, dass wir in Deutschland dank sehr guter medizinischer Versorgung den wichtigsten Schritt erreicht haben: Den Ausbruch von Aids in nahezu allen Fällen zu verhindern und die HIV-Infektion zu einer chronischen Erkrankung zu machen, mit der es sich leben lässt?
Ich bin kein Freund vom Verweilen in der Vergangenheit. Ich bin deutschlandweit unterwegs, um HIV-Prävention zu betreiben: in Schulen, auf Straßenfesten, auf CSDs, bei Talkrunden.Und auch wenn es einige vielleicht nicht gerne hören – aus vielen Gesprächen mit jungen Menschen an unseren Präventionsständen kann ich euch sagen: Die Assoziationen, die Aids noch vor einigen Jahren ausgelöst hat, existieren in den meisten Köpfen der heutigen Jugend nicht mehr.
Es hat sich was getan – in der Aufklärung und in unseren Behandlungsmöglichkeiten:
Es ist nicht mehr wie in der x-fachen Wiederholung des zweifelsohne guten Films „Philadelphia“. Wir sterben nicht mehr an Aids. Zumindest nicht in Deutschland. Ansteckungswege und Risikofaktoren sind heutzutage klar erforscht. Und dann gibt es noch die neue Erkenntnis, die nur schwierig zu kommunizieren ist: Der Schutz durch Therapie ist wirksamer als durch ein Kondom, wenn wir andere sexuell übertragbare Infektionen außen vor lassen.
Mein Auftrag als HIV-Positiver ist es, dieser Infektion ein neues, realistisches Bild zu geben. Ein Bild, das zu dieser Welt-Aids-Konferenz passt. Denn wenn wir gegen Stigmatisierung und Diskriminierung ankämpfen und etwas in der Gesellschaft verändern wollen, müssen wir diese wichtige Woche auch hierfür nutzen.
Und dabei ist es meines Erachtens wichtig, wie ich selbst hierüber kommuniziere. Erst gestern habe ich hier ein Interview für einen Radiosender gegeben. Nach der Beantwortung des Fragenkatalogs dachte ich so für mich: wie unspektakulär. Keine nennenswerten Nebenwirkungen, ein Freundeskreis, der darüber Bescheid weiß, Eltern, die inzwischen im Thema sind, keine Kur, keine Frührente, nichts.
Bin ich überhaupt noch der geeignete Interviewpartner für so eine Konferenz? Ich hoffe schon – denn vieles dieser in unserer Community so selbstverständlichen Facts sind in unserer Gesellschaft noch nicht angekommen. Wir können gemeinsam aufräumen mit alten Klischees!
Die Entscheidung, die ich als HIV-Positiver treffen kann, ist die, wie ich – insbesondere zu einer Welt-AIDS-Konferenz – mit meiner Infektion umgehe und welches Bild ich hierüber in der Öffentlichkeit präsentieren möchte.
Ja, auch ich habe gute und enge Freunde an den Kampf gegen Aids verloren. Und ja, es gibt nach wie vor zu viele Patienten, die an den Folgen der Infektion trotz hochwirksamer Therapien scheitern. Bei allem Gedenken an diese Tragik möchte ich dennoch, dass die Welt-Aids-Konferenz und ich als Botschafter dieser Veranstaltung der breiten Öffentlichkeit – die wir durch moderne Medien inzwischen erreichen können – auch ein zeitgemäßes und realistisches Bild über die Infektion geben dürfen.
Und wenn Sie so wollen, dann bin ich hier stellvertretend für all die Menschen in Deutschland, die trotz ihres positiven HIV-Status ein normales, ein gesundes und erfülltes Leben führen: All diejenigen, die die Frage „Wie geht es dir?“ mit „bestens“ antworten würden.
Klar gibt es auch in meinem Leben immer wieder Rückschläge – jedoch: Es ist an der Zeit, dass wir das Unwissen und die unbegründete Angst im Umgang mit uns HIV-Positiven nicht weiter hinnehmen. Es ist Zeit, dass wir aufräumen mit „alten Bildern“ und falsch behafteten Klischees.
HIV ist, was du draus machst – fände ich einen tollen Slogan für die nächste Welt-Aids-Konferenz. Denn wer, wenn nicht wir könnte einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, das Bild über HIV und auch die damit einhergehenden Diskriminierungen und Stigmatisierungen zu verändern?
Lasst uns – gerade in Deutschland – aufbrechen in ein neues HIV-Zeitalter. In denen wir Unwissenden nicht als Erstes vom Tod und dem Leid der 80er, sondern von den Chancen und den neuen Möglichkeiten des Jahres 2016 erzählen. Erst, wenn uns das in breiter Front gelingt, dürfen wir mit einer Veränderung in der Gesellschaft rechnen.
Lasst uns daher gemeinsam voller Optimismus und Zuversicht und in dem Wissen darum, dass es noch viele Hindernisse zu überwinden gibt, an dem Ziel arbeiten, dass der Umgang mit HIV-Infizierten zur normalsten Sache der Welt wird. Und helft uns, dass auch dies Welt-Aids-Konferenz nicht nur zu einem medialen Ereignis des Gedenkens, sondern auch zu einer Woche der Zuversicht und des Aufbruchs in einen neuen selbstbewussten Umgang mit diesem Thema wird.
HIV ist, was du draus machst.

Florian Winkler-Ohm am 1. Dezember 2013 in der Frankfurter Paulskirche zum Thema „HIV 2.0“
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Für eine Welt ohne AIDS bis 2030.