Das Waldschlösschen baut neu

Ein Interview mit Geschäftsführer Kevin Rosenberger.

Kevin Rosenberger im Gespräch mit Flo

Das Waldschlösschen liegt 13 Kilometer südöstlich der Universitätsstadt Göttingen mitten in einer waldreichen Mittelgebirgslandschaft. Die architektonisch reizvollen Gebäude, umgeben von Gärten und Terrassen, und die schöne Umgebung bieten gute Voraussetzungen sowohl für konzentriertes Arbeiten und Lernen als auch zum Kraftschöpfen und Erholen.

Ursprünglich als Tagungs- und Begegnugnshaus für HIV-positive Menschen genutzt, die in den 80er-Jahren ofmals keine anderen Räumlichkeiten zur Nutzung erhielten, ist die Akademie Waldschlösschen heute ein wertvoller Ort für queere Bildung mit einem umfangreichen Seminarprogramm.

Im Interview erzählt Geschäftsführer Kevin Rosenberger über die Pläne eines Neubaus auf dem Gelände, das Vorhaben weitere behindertengerechte Zimmer zu bauen und über die Planungen zum großen Stiftungsfest im kommenden Jahr.

Zum Starten des Videos klicken.

Sein besonderes Profil erhält das Veranstaltungsangebot der Akademie durch Angebote für Schwule und Lesben, Trans*-, bi- und intersexuelle Menschen und ihre Lebenspartner_innen und Familien, für HIV-positive und an AIDS erkrankte Menschen und ihre Lebenspartner_innen, Fortbildungsveranstaltungen zu AIDS und sexualpädagogischen Themen sowie Seminare für Menschen mit geistiger Behinderung.

„Wir sind ein Ort der Begegnung, der sich der Humanisierung der Gesellschaft verpflichtet fühlt“: Dieser Kernsatz aus dem Leitbild der Akademie kennzeichnet das Selbstverständnis ihrer Bildungsarbeit: sie wird getragen von der Überzeugung, dass alle Menschen gleichberechtigt sind, der Solidarität mit Benachteiligten, der Akzeptanz verschiedener Lebensstile und Sexualitäten, der Neugier auf das „Fremde als Bereicherung“.

Das Waldschlösschen besteht aus einem denkmalgeschützten, komfortabel und ökologisch behutsam sanierten Altbau von 1904, dem 1991 nach baubiologischen Gesichtspunkten entstandenen »Waldhaus« und dem »Gartenhaus« von 2008.

Kevin Rosenberger

Die räumlichen Gegebenheiten der Häuser bieten viele Möglichkeiten. Den Seminargruppen stehen zehn Seminar- und Aufenthaltsräume zur Verfügung. Als Mittelpunkt und »soziales Zentrum« dient der Große Saal. Die Räume sind mit modernen Medien und Arbeitsmaterialien ausgestattet – vier davon auch mit Klavieren. Die meisten Seminarräume liegen ebenerdig mit Zugang zu Gärten und eigenen Terrassen, sodass im Sommer das Arbeiten im Freien möglich ist.

Jetzt kommt mit dem Berghaus eine Erweiterung des Zimmerangebots hinzu. Die Bauarbeiten haben bereits begonnen. Fertig soll das neue Haus bereits im September 2023 sein.

Wer die wertvolle Arbeit der Stiftung Akademie Waldschlösschen unterstützen möchte, kann spenden an:

Förderverein Stiftung Akademie Waldschlösschen e.V.,
IBAN: DE44 2605 0001 0023 0014 80
BIC: NOLADE21GOE

Alle Infos zur Fördermitgliedschaft und weitere Inhalte zum Schlösschen findet ihr hier:

https://www.waldschloesschen.org/de/stiftung.html

Wenn euch mein Blog gefällt freue ich mich sehr, wenn ihr mir folgt und durch Teilen dieses Beitrags etwas mithelft, damit auch andere Menschen hier auf flosithiv.com finden. #sharingiscaring ❤

Flo

Atemlos, dank Xavier.

Für die Liebe zum Schlager „Atemlos durch die Nacht“ muss ich mir schon lang ziemlich Häme im Kolleg:innenkreis einholen. Ganz neue Bedeutung bekommt der Song, seit ich mit Corona flach liege. Die letzten zwei Jahre hatte mich das Virus verschont, seit Mitte letzter Woche bin ich positiv.

Während ich noch sehr lange gehofft hatte, dass die antiretroviralen HIV-Medikamente vielleicht doch hemmende Wirkung auf das Corona-Virus haben, bleibt für mich jetzt nur die Ernüchterung: Leider nein. Ein Glück: Ich bin dreifach geimpft – dreimal mit anderem Wirkstoff. Mehr Abwechslung geht nicht.

Und dennoch haut mich dieses Virus derzeit komplett aus der Bahn. Selbst kleinste Aufgaben fühlen sich an, als hätte ich eine mehrstündige Gipfelbesteigung eines 3000ers hinter mir. Das Gefühl, zu wenig Luft zu bekommen kenne ich seit Jahren durch mein Astmha, nur derzeit ist dies ein Dauerzustand der sich auch nicht mit meinen Sprays beseitigen lässt.

Die letzten Nächte habe ich weit über 12 Stunden geschlafen und nach Duschen und Frühstücken muss ich mich direkt wieder hinlegen. Bin ich jetzt dieser „alte, weiße, schwule Mann“ von dem alle sprechen? Ich hoffe nicht und vertreibe mir die Zeit auf der Couch mit spannenden Büchern wie „Der weiße Fleck“ von Mohamed Amijahid, „Ich könnte ihn erwürgen“ von Martin Wehrle und „Unsichtbare Frauen“ von Caroline Criado-Perez.

Ich komme endlich mal dazu „Die Zeit“ komplett durchzulesen und verfolge die teils krankhaften Debatten in den Sozialen Medien. „Ich habe mich Theorien, Sichtweisen und teilweise auch Gruppierungen geöffnet, von denen ich mich ohne Wenn und Aber distanziere und lossage“ sagt Xavier Naidoo in seinem aktuellen Entschuldigungsvideo. Der Schwurbler und Corona-Leugner Nummer 1 rudert zurück.

Und ich lese die Kommentare, Meinungen und Bewertungen zu diesem dreimünitgen Entschuldigungsvideo – von ehemaligen Redaktionskolleg:innen, von Hinz und Kunz und von Maralaposteln jeglicher Coleure. Es geht um Schuld, um Ent-schulduldigung, um Neuanfang.

Kurz nach Ostern wirkt dieses Schauspiel christlich-geprägter Werte ziemlich bizarr. Ich frage mich, wieviele Menschen nach den unzähligen Verschwörungsvideos von Naidoo in den letzten Monaten ohne Impfung einen grausamen Tod gestorben bin. Ich überlege, wieviele Gegenvideos es bräuchte um nur einen Bruchteil der Corona-Leugner:innen zum Umdenken zu bewegen. Ich frage mich, ob sich sowas mit Schuld, Sühne und Verzeihung tatsächlich lösen lässt.

Verantwortung zu übernehmen ist die Tugend unserer Zeit. Daran sollten wir jede Reue, jede Bitte um Entschuldigung, jedes Rückrudern bemessen. Eine Ent-Schuldigung erfolgt doch mehr durch Taten, statt durch Worte. Vielleicht schlägt Naidoo diesen Weg ja ein – und wenn, dann sei ihm schon jetzt prophezeit: „Dieser Weg wird kein leichter sein. Dieser Weg wird steinig und schwer.“

Ich widme wich wieder meinen Büchern, hoffe dass die viele Ruhe mir wieder genügend Atem schenkt gegen den Wahnsinn dieser Zeit auch anpusten zu können und dreh die Musik ein bisschen lauter: Atemlos durch die Nacht.

200 Tage ohne SchwuZ

Ein Club ist ein Club ist Intimität ist eine Utopie ist Solidarität ist ein Safer Space ist Alltagsflucht ist eine Vision ist Awareness ist ein Zuhause ist Hedonismus ist ein Mikrokosmos ist Ekstase ist eine Chance.

Seit 200 Tagen ist das alles weg. Wer auf http://www.schwuz.de geht sieht einen Zähler, der seit über sechs Monaten unwillkürlich tickt. Ein Ende ist vorerst nicht in Sicht.

Diesen Blog nutze ich, um über mein Leben mit HIV zu schreiben. Mein Beruf als Geschäftsführer des größten und ältesten queeren Clubs in Deutschland – dem SchwuZ – spielt dabei meistens keine Rolle. Aber zum ganzen Bild gehört auch dieser unweigerlich dazu. Die letzten Monate zehrten an meiner Kraft und auch an der des Teams um mich herum.

Obwohl wir seit dem 13. März nicht mehr öffnen durften, arbeitete ich mehr als je zuvor. Anträge für Überbrückungshilfen, KfW-Kredit, Verhandlungen mit den Vermietern, Kurzarbeiter_innengeld für die sozialversicherungspflichtigen, Pakt für Arbeit für die Minijobler_innen, Investitionsprogramme für Umbau von Hygienemaßnahmen, unendlich viele Interviewanfragen und der kalte Sprung in die Digitalisierung.

Wie es mir geht, fragen manche. Gut, antworte ich dann.

Gut deswegen, weil ich zufrieden bin mit all dem was ich fürs SchwuZ in dieser Zeit gemacht habe. Gut deswegen, weil ich dankbar bin ein Team um mich zu haben, auf das ich mich zu 200 Prozent verlassen kann. Optimistisch, weils immer irgendwie weiter geht.

Manchmal sage ich in Interviews über die Schließzeit im SchwuZ: „Hören Sie mal, wir haben die Aids-Krise überlebt, dann werden wir doch auch mit Corona fertig werden.“

Vergleiche zwischen der HIV/Aids-Krise und der aktuellen Pandemie finden sich zahlreich im Netz. Ich will mich aktuell da gar nicht an einen detaillierten Vergleich wagen. Ich weiß nur für mich selbst: die Auswirkungen dieser Pandemie sind noch weit davon entfernt, wie ich in jungen Jahren die Auswirkungen von HIV/Aids erlebt habe.

Und dennoch verlangt mir diese Krise auf einer emotionalen Ebene enorm viel ab. Im SchwuZ-Umfeld arbeiten über 300 freiberuflich Tätige – von Künstler_innen bis zur Technikerin. Sie alle trifft diese Krise hart, weil das was zum Leben bleibt, einfach viel zu wenig ist. Und weil ihnen und allen im SchwuZ das fehlt, was uns antreibt: die Bühne.

Von über 240 Veranstaltungen im Jahr auf 0. Das ist keine Vollbremsung, sondern ein frontaler Crash an eine Mauer. Unser einziger Airbag heißt: Community.

Unserer Community verdanken wir das Überleben. Sie hat das SchwuZ durch die Krise getragen. Gespendet, um die vielen Monate bis zur ersten Hilfe des Bundes für Kulturbetriebe zu überbrücken und ein wenig des großen Lochs zwischen fixen Kosten und bescheidenen Zuschüssen zu stopfen.

Dafür bin ich enorm dankbar. Und auch für die vielen Begegnungen, das Miteinander, das sich-Mut-zu-sprechen in der Club- und Kulturlandschaft Berlins. Empowerment, dass gerade alle brauchen, die im Kultursektor arbeiten.

Kultur ist systemrelevant. Das SchwuZ ist systemrelevant.

Nie zuvor wurde das so deutlich wie in 2020. Der sichere Raum, den wir queeren Menschen aus der ganzen Welt geben, die Bühne die wir queeren Artists bieten, die Freiheit die Menschen in unseren Räumen erfahren dürfen – das alles fehlt.

Viel unserer Care-Arbeit können wir nur sehr bedingt leisten. Die Plattform die wir sozialen Projekten – wie Aidshilfen oder anderen Institutionen die den 1:1-Kontakt mit Menschen suchen – bieten; sie fehlt.

Und trotz all dem, trotz fehlender Öffnungsperspektive, trotz schwierigster Zeiten: wir behalten unsere Hoffnung. Wir machen weiter. So gut wir können – im digitalen Raum und manchmal sogar wieder ganz wie in alten Zeiten: mit Menschen im SchwuZ.

Am kommenden Samstag erhält das SchwuZ die Auszeichnung zum Tag der Clubkultur.

Wir freuen uns riesig & tanken daraus auch weitere Energie für die gerade schwierigen Zeiten. Erst im letzten Jahr gewann das SchwuZ den Ehrenpreis des LISTEN TO BERLIN Awards der Musik- und Kreativbranche.

Erneut werden wir für unsere Vielfalt im Programm und unser jahrzentelanges Engagement in der Clubkultur Berlins gewürdigt – ein Verdienst von rund 100 Menschen in unserem Team und deren unermüdlichem Einsatz für Diversität, neue Wege und Ideen.

Herzlichen Dank all den Menschen, die das möglich machen. ❤️

Für den 3.10. haben wir ein Programm zusammengestellt, das zum einen gestreamt wird, aber in dem zum ersten Mal auch in unserem Streamingstudio rund 40 Menschen (mit Abstand & Hygienplan) wieder live teilnehmen können.Die Karten kosten 15 Euro pro Person. Es sind Tickets ab zwei Personen (also 30 Euro plus VVK) erhältich – Einzelplätze leider nicht, da wir sonst noch weniger Plätze anbieten könnten.Es gibt zwei Zeitslots aus denen man wählen kann. 18 Uhr oder 21 Uhr.

Die Tickets sind hier erhältlich: https://www.eventbrite.de/e/tag-der-clubkultur-tickets-122232451553?fbclid=IwAR206R3NCz6L8p8LesEz8yubVOdDjCweRajeWr0J-OSiUFHASDM2vltv-Qw

Was für ein schönes Zeichen nach 200 Tagen Stillstand. Und vielleicht bleibt mir sogar ein neuer Beitrag anlässlich des 300. Schließtags erspart.

Ich bleibe optimistisch. Bleibt ihr es auch. Euer Flo

Wie ihr das SchwuZ unterstützen könnt:

Obwohl keine Partys und Clubbetrieb möglich ist, können wir das SchwuZ für bestimmte Arten von Veranstaltungen nutzen. Zum Beispiel können bei uns Konferenzen, Tagungen, Vereinssitzungen, digitale Produktpräsentationen, Livestreams, Hybride Veranstaltungsformate und kleine Messen unter Einhaltung der aktuellen Hygienevorschriften tagsüber stattfinden. Wer also einen Raum für diesen Zweck sucht, oder eine Firma kennt, die dazu passt, dann hilft uns jeder Kontakt dazu. So können wir zumindest versuchen, ein bisschen Umsatz zu generieren um vor allem unsere Mitarbeiter_innen zeitweise aus der Kurzarbeit zu holen und ihnen ein besseres Einkommen zu ermöglichen.

Die verschiedenen Möglichkeiten uns mit Spenden zu unterstützen sind:

PayPal: spende@schwuz.de

GoFundMe:
https://www.gofundme.com/f/saveourschwuz

Überweisung:
SchwuZ Kulturveranstaltungs GmbH
IBAN: DE05 1004 0000 0534 5772 02
Verwendungszweck: Spende SchwuZ

Du bleibst unvergessen, Wolfgang Wermter

Die Nachricht vom Tod meines langjährigen ICH WEISS WAS ICH TU-Kollegen Wolfgang Wermter hat mich getroffen und traurig gemacht.

Wolfgang war immer für die Community da. Immer in Aktion. Immer fröhlich. Oft auch unbequem, wenn es der Sache diente. Doch das war immer richtig.

Genau an dieses Engagement hat er nun seinen Herzschlag verloren. Wir vergessen keine Minute davon.

Meine Gedanken sind bei seinem Mann Andreas und all den anderen lieben Menschen, der Familie, Freund_innen und Wegbegleiter_innen die Wolfgang nun in Trauer zurücklässt. Möge seine Seele Frieden finden.

Mein letztes Interview habe ich mit Wolfgang vor drei Jahren geführt.

Es wurde bislang nicht veröffentlicht. Es ist mein letzter Gruß und meine Verneigung vor einem Präventionskollegen, der sich über Jahrzehnte engagiert und mit ganzem Herzen für die Themen „Schutz durch Therapie“ und „Älter werden als schwuler Mann“ eingesetzt hat.

Er und sein Mann waren das erste offen lebende diskortante Paar (ein Partner ist positiv und unter wirksamer Therapie, der andere negativ), welches sich bei ICH WEISS WAS ICH TU, der Präventionskampagne der Deutschen Aids-Hilfe, engagiert und auf zahlreichen Veranstaltungen den Fragen von Interessierten gestellt hat.

Wolfgang und Andreas haben einen entscheidenden Beitrag für die Verbreitung der Botschaft „Schutz durch Therapie“ geleistet.

Wolfgang starb nach langer Krankheit. Sein Lebenswerk bleibt unvergessen.

Corona & HIV: aktuelle Infos

Nachfolgend habe ich euch mal alle aktuellen Infos zum Thema Corona & HIV zusammengestellt. Der Artikel klärt die Fragen, ob HIV-Medikamente gegen den Corona-Virus helfen und wie weit die aktuelle Forschung ist.

Die Deutsche Aidshilfe hat in einem Interview mit ihrem Medizinreferenten Achim Schafberger kürzlich die wichtigsten Fragen geklärt – hier ein Auszug aus dem Text den ihr hier in voller Länge nachlesen könnt: https://magazin.hiv/2020/02/28/coronavirus-und-hiv/

(Quelle: Deutsche Aidshilfe):

Haben das neue Coronavirus und HIV Ähnlichkeiten? Einigen Berichten zufolge sollen bestimmte HIV-Medikamente ja auch gegen Coronaviren wirken.

Das Coronavirus, das uns gerade in Atem hält – genauer: SARS-CoV-2 – und auch andere Coronaviren brauchen zu ihrer Vermehrung unter anderem ein Enzym namens Protease. Und es gibt eine Gruppe von HIV-Medikamenten, die die HIV-Protease blockieren: die sogenannten Protease-Hemmer oder Protease-Inhibitoren. Schon 2004 hat man die Wirkstoffe Lopinavir und Ritonavir, kombiniert im Präparat Kaletra, versuchsweise gegen das mit SARS-CoV-2 verwandte SARS-Virus eingesetzt und eine gewisse Wirkung erzielt.

Derzeit werden verschiedene Medikamente gegen das Coronavirus untersucht, auch HIV-Medikamente

Allerdings ist Skepsis angesagt: Bei Laborversuchen mit dem ebenfalls verwandten MERS-Virus zeigte sich keine große Wirksamkeit der HIV-Medikamente gegen die Virusvermehrung.

Zurzeit werden verschiedene Substanzen gegen das Coronavirus an Patient_innen getestet, unter anderem auch der schon erwähnte gegen HIV wirksame Protease-Inhibitor Kaletra (Lopinavir/Ritonavir). Erst wenn diese Studien abgeschlossen sind, wissen wir, ob und welche Substanz auch gegen das Coronavirus wirkt. Eine der Kaletra-Studien, die in Ghuangzou in China an 125 Patient_innen durchgeführt wird, wird voraussichtlich Ende Juli abgeschlossen sein – ebenso eine zweite in Hongkong mit 70 Patient_innen (Kaletra in Kombination mit Interferon und Ribavirin). Man kann sich auf der englischsprachigen Webseite www.clinicaltrials.gov selbst ein Bild über die laufenden Studien machen, wenn man im Suchfeld „Conditions or disease“ das Wort coronavirus eingibt.

Übrigens: Die Verschwörungstheorie, das neue Coronavirus sei im Labor unter anderem aus HIV-Erbgutabschnitten „zusammengebaut“ worden, kann man nicht ernst nehmen. Sie geht vor allem auf einen unveröffentlichten Artikel aus Indien zurück, wonach bestimmte Abschnitte des Coronavirus-Erbguts Ähnlichkeit mit Teilen des HIV-Erbguts haben. Der Beitrag wurde aber sofort von Wissenschaftler_innen zerpflückt – die angesprochenen Abschnitte sind so winzig, dass sie auch bei vielen, vielen anderen Genen vorkommen.

Oft liest man ja, dass ältere Menschen oder Menschen mit Begleiterkrankungen ein höheres Risiko für einen schweren Verlauf der Coronavirus-Infektion haben. Gilt das auch für Menschen mit HIV?

Darüber wissen wir noch nichts. Bisher wurden in den Studien nur die sogenannten Volkskrankheiten genannt: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Asthma und Diabetes mellitus. Ein geschwächtes Immunsystem muss man sicher auch zu „Vorerkrankungen“ rechnen. Die meisten Menschen mit HIV nehmen aber HIV-Medikamente. Die Medikamente unterdrücken die HIV-Vermehrung im Körper und schützen so das Immunsystem. Bisher gibt es keine Anzeichen dafür, dass Menschen mit HIV-Behandlung durch eine Coronavirus-Infektion besonders gefährdet sind – aber wir haben einfach noch keine Daten dazu.

Wie können Menschen mit HIV sich vor einer Ansteckung mit Coronaviren schützen?

Menschen mit HIV schützen sich genauso wie alle anderen vor Coronaviren.

An erster Stelle steht: Hände waschen, Hände waschen, Hände waschen – regelmäßig und gründlich.

Das heißt: die Hände von allen Seiten und bis zu den Handgelenken mit Seife einreiben und dabei 20 bis 30 Sekunden Zeit lassen, dann Seife unter fließendem Wasser abspülen und die Hände mit einem sauberen Tuch trocknen.

An erster Stelle steht Hände waschen, Hände waschen, Hände waschen

Wasser und Seife reichen – ein Desinfektionsmittel ist nicht nötig.

Vor allem sollte man die Hände immer dann waschen, wenn man etwas angefasst hat, was auch andere Menschen anfassen. Dazu gehören zum Beispiel Haltegriffe im Bus oder der U-Bahn, Türklinken, Toilettenspülungen usw.

Wichtig ist auch, die Hände möglichst vom Gesicht fernzuhalten und Nase, Mund und Augen nicht zu berühren.

Wer sein Risiko weiter reduzieren will, sollte außerdem Abstand zu anderen Menschen halten – empfohlen wird mindestens ein Meter – und größere Veranstaltungen meiden.

Außerdem sollte man in die Armbeuge husten oder niesen – die Hand vor dem Mund hält Tröpfchen nicht auf.

Welche weiteren Tipps zu Corona gibt es für Menschen mit HIV?

Keine anderen als sonst auch.

Aber jede und jeder sollte zumindest in den nächsten Wochen überlegen, ob geplante Reisen oder Veranstaltungen vielleicht verschoben werden sollten. Das gilt natürlich besonders für Reisen in Gebiete, die vom Robert-Koch-Institut als Risikogebiete ausgewiesen werden.

Was sollten Menschen mit HIV in Sachen Coronavirus noch bedenken?

Menschen mit HIV sollten – wie alle Menschen mit chronischen Erkrankungen, die Medikamente brauchen – darauf achten, bei Reisen eine Medikamentenreserve für zwei zusätzliche Wochen dabei zu haben. Falls eine Quarantäne verhängt wird, wie gerade bei dem Hotel auf Teneriffa, hat man dann genug Medikamente dabei.

Außerdem sollten sich auch Menschen mit HIV vor Reisen mit dem aktuellen Nordhalbkugelimpfstoff gegen Grippe impfen lassen. Neben dem Schutz vor Grippe trägt die Impfung auch dazu bei, unnötige Corona-Verdachtsfälle zu vermeiden – das schont das Gesundheitssystem.“

Einen weiteren spannenden Aspekt gegen die Epidemie mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 liefert der vfa – der Verbund der forschenden Pharmaunternehmen (Quelle: vfa):

Auch wenn die Entwicklung von Impfstoffen gegen SARS-CoV-2 mit nie gekannter Geschwindigkeit vorangeht, ist es doch unwahrscheinlich, dass man schon 2020 mit Massenimpfungen der Bevölkerung rechnen kann. Deshalb richten sich die Hoffnung darauf, dass schon schneller Medikamente gefunden werden, mit denen bereits Infizierte behandelt werden können, so dass die von diesem Virus verursachte Krankheit Covid-19 rasch abklingt.

Die Hoffnungen konzentrieren sich insbesondere auf Medikamente, die schon gegen eine andere Krankheit zugelassen oder zumindest in Entwicklung sind. Sie müssten nur umfunktioniert werden, was mutmaßlich schneller möglich ist als eine grundständige Neuentwicklung.

In der Tat werden schon eine ganze Reihe vorhandener Medikamenten darauf geprüft, ob sich damit die aktuelle Corona-Erkrankung behandeln lässt. Dazu kommt aber auch mindestens eine geplante Neuentwicklung. Hier eine Übersicht ohne Garantie auf Vollständigkeit:

Gilead Sciences erprobt sein intravenöses experimentelles Medikament Remdesivir, das ursprünglich gegen Ebola-Infektionen entwickelt wurde (sich da aber nicht bewährt hat). Studien haben bereits begonnen.

APEIRON Biologics (Wien) und die Universität von British Columbia erproben derzeit in einer Phase I-Studie das Medikament APN01, das aus der SARS-Forschung hervorgegangen ist.

Regeneron erprobt ein Medikament mit den monoklonalen Antikörpern REGN3048 und REGN3051 in einer Phase I-Studie mit Freiwilligen. Diese Antikörper kommen in Betracht, weil sie an ein Protein des MERS-Coronavirus binden, das mit SARS-CoV-2 verwandt ist.

In China wurden dem Unternehmen Zhejiang Hisun Pharmaceutical klinische Studien zur Covid-19-Therapie mit seinem antiviralen Medikament mit dem Wirkstoff Favilavir genehmigt. Favilavir hat bislang nur eine Zulassung für die Grippetherapie.

Ebenfalls eigentlich gegen Grippe in Entwicklung ist ATR-002, ein Kinaseinhibitor des Unternehmens Atriva Therapeutics in Tübingen. Nun prüft das Unternehmen, ob der Wirkstoff auch die Vermehrung von SARS-CoV-2 hemmen kann.

CytoDyn prüft, ob sein Medikament mit dem Antikörper Leronlimab gegen das Coronavirus wirksam ist. Entwickelt wurde es gegen HIV, wofür es auch schon in Patientenstudien erprobt wird.

AbbVie hat ein weiteres HIV-Medikament mit der Wirkstoffkombination Lopinavir / Ritonavir chinesischen für die Erprobung als Covid-19-Therapeutikum zur Verfügung gestellt.

Das chinesische Unternehmen Ascletis kombiniert Ritonavir stattdessen mit einem in China gegen Hepatitis C zugelassenen Medikament mit dem Wirkstoff Danoprevir. Studien laufen.


Pfizer erprobt derzeit im Labor antivirale Wirkstoffe, die das Unternehmen schon zuvor gegen andere Viren entwickelt hat. Sollten sich ein oder mehrere davon in Labortests bewähren, würde Pfizer sie den einschlägigen toxikologischen Tests unterziehen und Ende 2020 mit der Erprobung mit Menschen beginnen. Auch MSD untersucht derzeit, welche seiner antiviralen Wirkstoffe gegen SARS-CoV-2 wirksam sein könnten.

Innovation Pharmaceuticals erprobt derzeit, ob sein Wirkstoff Brilacidin für Covid-19-Patienten hilfreich sein kann. Ursprünglich wurde der immunmodulatorische Wirkstoff zur Therapie von entzündlichen Darmerkrankungen und Entzündungen der Mundschleimhaut entwickelt.

Von chinesischen Forschern kam vor einigen Tagen auch die Nachricht, dass sich der alte Malaria-Wirkstoff Chloroquin in einer klinischen Studie als wirksam erwiesen habe.

Vir Biotechnology hat Antikörper aus dem Blut von Patienten gewonnen, die 2003 eine SARS-Infektion überstanden haben. Nun prüft das Unternehmen, ob diese auch gegen das nah verwandte SARS-CoV-2-Virus wirksam sind. Für die biotechnische Produktion von „Kopien“ solcher Antikörper kooperiert Vir Biotechnology mit dem chinesischen Unternehmen WuXi Biologics.

Der gleichen Logik folgt das Projekt des Unternehmens Takeda: Dort will im Rahmen des Projekts TAK-888 ein Antikörpergemisch aus dem Blutplasma von Personen gewinnen, die von Covid-19 genesen sind (oder später von Menschen, die gegen Covid-19 geimpft wurden), und zu einem Medikament verarbeiten. Solch ein Gemisch heißt anti-SARS-CoV-2 polyclonal hyperimmune globulin (H-IG); die Behandlung damit „Passivimmunisierung“. Anders als bei Vir Biotechnology erhalten die Covid-19-Patienten dann also direkt aus menschlichem Plasma gewonnene Antikörper und keine biotechnisch produzierten „Kopien“ davon.

Weitere Forschungsgruppen in der Welt verfolgen den Ansatz, Antikörper aus Plasma zur Passivimmunisierung einzusetzen.

Show respect: Flo im Friedrichstadt-Palast

Flo mit dem Ensemble des Friedrichstadt-Palast Berlin

Es gibt Tage, die gehören dringend überarbeitet: Karfreitag samt Tanzverbot zum Beispiel. Aber auch am heutigen 1.12. – dem Welt-Aids-Tag – wünsche ich mir einen zeitgemäßeren, lebensfrohen Blick auf das Thema.

Wie sollen Vorurteile und Stigma aus den Köpfen verschwinden, wenn gerade an diesem Tag immer die „alten Bilder von HIV und Aids“ geschürt werden? Ich möchte zwar insbesonders heute an alle denken, die wir an den Folgen von HIV & Aids verloren haben, gleichzeitig jedoch deutlich machen: Diskriminierung und Stigmatisierung ist für Menschen die heute mit dem Virus leben, die größte Herausforderung.

Ich möchte – nicht nur mit diesem Blog – zeigen, dass ein Leben mit HIV heute kein großes Thema mehr ist. Das es höchste Zeit ist, falsche Annahmen über die Infektion und damit einhergehende Diskriminierung von uns HIV-Positiven endlich zu beenden.

Es ist 2019. Trotz bester medizinischer Versorgung hierzulande werden Menschen mit HIV immer noch ausgegrenzt, haben Herausforderungen in der Partnerschaft, im Job oder im Gesundheitswesen.

Daher wollte ich heute unbedingt einen äußerst positiven Film ins Netz stehen. Mit ganz viel Lebensfreude und jeder Menge guter Laune.

Ich danke dem Friedrichstadt-Palast Berlin für die großartige Unterstützung: Respect each other. Zeig Respekt. Für ein Leben mit HIV.

Flo tanzt mit dem Ensemble des Friedrichstadt-Palast Berlin

Mehr Infos zum Friedrichstadt-Palast und den aktuellen Shows findest du auf https://www.palast.berlin/

Ich freue mich, wenn du dieses Video teilst und damit etwas gute Laune am Welt-Aids-Tag verbreitest. Danke für deine Unterstützung.

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Aids + Kinder e.V. setzt sich seit 30 Jahren für die Jüngsten ein

Der Verein AIDS und Kinder wurde 1989 von betroffenen Familien und deren Freunden ins Leben gerufen. Anfangs waren es nur sieben Familien, die den Verein trugen. Diese Zahl hat sich mittlerweile um ein Vielfaches erhöht. Die vom Verein betreuten Familien leben nicht ausschließlich in Baden-Württemberg, Aids und Kinder e.V. agiert mittlerweile süddeutschlandweit.

Ich traf Elke Adler aus dem Vorstand im 30. Jubiläumsjahr des Vereins zu einem Videointerview über ihr Engagement:

Aus dem Angebot des Vereins AIDS + KINDER e.V. :
Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, Sprachrohr für Familien zu sein, die von HIV und AIDS betroffen sind. Dazu gehören Familien mit betroffenen Kindern, sowie Kinder, deren Eltern infiziert oder bereits an den Folgen von AIDS gestorben sind. 

Schwerpunkte

Der Schwerpunkt unserer Arbeit liegt darin, den Familien einen Weg aus der Isolation zu ermöglichen oder diese zu verhindern. Denn noch immer begegnen Menschen in der Nachbarschaft oder Bekanntschaft betroffenen Kindern gegenüber mit Distanz, Ablehnung manchmal sogar Ängsten – auch nach knapp 30 Jahren Aids! Deswegen ist ein weiterer wichtiger Punkt unsere Öffentlichkeitsarbeit: wir möchten Nichtbetroffene über das Thema AIDS informieren, um so zu helfen deren Ängste und Probleme im Umgang mit Betroffenen abzubauen.

AIDS Arbeitskreis

Gemeinsam mit der AIDS-Hilfe Heidelberg e.V. und der AIDS-Beratung am Gesundheitsamt Heidelberg haben wir einen „Arbeitskreis AIDS“ gegründet. Dieser Arbeitskreis trifft sich regelmäßig und führt gemeinsame Aktionen durch. Außerdem sind wir im „Arbeitskreis Frauen“, gemeinsam mit anderen Aidshilfen aus Baden-Württemberg und seit November 2002 sind wir auch Mitglied in der „Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder und Jugendliche im Umfeld von HIV und AIDS“, in der sich Vereine und Aidshilfen deutschlandweit für die Belange von von HIV betroffenen Familien einsetzen. Ebenfalls vertreten sind wir in den Arbeitskreisen PSAK (Psychosozialer Arbeitskreis) und dem „AK Rhein-Neckar“ in der Metropolregion Mannheim-Heidelberg-Ludwigshafen.Sehr gerne stehen die Mitarbeiterinnen unseres Vereins auch für Vorträge und Gespräche in Kindergärten, Horten, Schulen oder bei Jugendgruppen zur Verfügung.Unsere Arbeit ist ausschließlich ehrenamtlich und alle Mitarbeiter und Mitglieder haben sich zur völligen Verschwiegenheit verpflichtet. Ratsuchende Familien bleiben anonym. 

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PrEP: Nina Queer macht sich ihr eigenes BILD

Screenshot: Quelle BILD

Seit einigen Stunden online und erneut erfolgreich – zumindest die Viralität der Bild-Kolumnen von Nina Queer sprechen für sich. Inhaltlich schafft die vom Verlag zur „Promi-Dragqueen“ gekührte Meinungmacherin leider nur das zu erwartende Niveau des 4-Buchstaben-Journalismus.

In ihrer neusten Kolumne mit der provakanten Überschrift „Freie Fahrt für wilde Nutten: “ So gefährlich ist PrEP!“ wendet sich die Möchtegern-Botschafterin mit halbwahren und schlecht recherchierten Aussagen an „ihre Familie“ – ihr rät sie: „auf euch und eure Lieben besonders gut aufzupassen.“ Denn, so will die Fachdrag wissen:

„Eine PrEP-Pille ist nichts anderes als eine Art „kleine Chemotherapie“….Jeder, der diese Therapie anwendet , muss sich bewusst darüber sein, dass er seinem Körper und natürlich auch seiner Psyche schadet.“

Um der geneigten Bild-Leserschaft dann noch die benötigte Dosis aus Angst und Dramatisierung beizufügen, erklärt sie:

„Nach den USA gibt es nun auch in Europa erste Fälle, bei denen es trotz Einnahme von PrEP zu einer HIV-Infektion kam.“

Themen wie Adhärenz (kurz gesagt das Einhalten des Einnahmeschemas bei verschreibenen Medikamenten) lässt sie natürlich ebenso weg, wie Quellenangaben.

Dafür schafft sie die geschriebene Drohkulisse noch zu erhöhen mit dem Satz:

„Dazu kommt, dass durch ungeschützten Sex die Syphilis, Tripper, Herpes, und Pilze wieder Oberwasser gewinnen. Gerade in Berlin ist die Syphilis augenblicklich nicht mehr unter Kontrolle zu bekommen“ erklärt die „Expertin“.

Zur Klarstellung: PrEP-Patient_innen sind hierzulande in ähnlicher medizinischer Versorgung wie HIV-Patient_innen: Die regelmäßigen Checks schließen zumeist auch Untersuchungen auf oben genannte Infektionen mit ein. Die Folge: Diese Personengruppe wird bei einer Infektion wesentlich schneller therapiert als die breite Durchschnittsbevölkerung, die aufgrund zu seltener Testung zumeist überhaupt nichts von ihrer Infektion weiß und daher der Hauptgrund für den aktuellen Anstieg – beispielsweise bei Syphilis – darstellt.

Nicht die PrEP-Gebrauchende, sondern Menschen die nicht regelmäßig zum Test gehen sind also die Herausforderung, wenn man Infektionszahlen eindämmen möchte.

Dies alles lässt Nina Queer natürlich in ihrem Text außen vor. Dafür stellt sie pauschal alle Menschen die sich durch PrEP vor einer Ansteckung durch HIV schützen an den Pranger:

„Kein Medikament der Welt sollte über einen so langen Zeitraum und so intensiv eingenommen werden, wenn es nicht unbedingt notwendig ist. Und schon gar nicht, wenn man sich bester Gesundheit erfreut. Und genau DAS ist ja immer das Argument von PrEP-Verwendern: „Ich nehme es, um gesund zu bleiben“. Ein einziges Oxymoron“, so Nina Queer.

Mit Oxymoron baut die Autorin – in Hoffnung auf die Unterstreichung von Glaubwürdigkeit – noch geschickt einen Fachbegriff ein, bei dem wohl die meisten Leser_innen der Zeitung mit den vier roten Buchstaben erstmal nachschlagen müssen um zu verstehen, dass es sich dabei um den Fachbegriff sich zwei einander widerspechender oder sich gegenseitig ausschließenden Begriffen – wie beispielsweise Hassliebe, Regelausnahme oder BILD-Qualitätsjournalismus – handelt.

Geschweige denn, dass – um nur ein Beispiel zu nennen – auch beim Thema Verhütung durch die sogenannte „Anti-Baby-Pille“ seit Jahrzehnten neben anderen Möglichkeiten eine chemische Option geschaffen wurde, die auf Freiwilligkeit setzt, lässt die Verfasserin völlig außer acht, dass die PrEP für Menschen in der Hochzeit ihrer Sexualiät durchaus ein Mittel sein kann, auf dass dann in ruhigeren Zeiten wieder verzichtet werden kann. Es kann gleichermaßen anlassbezogen wie dauerhaft eingenommen werden – die Wahl daürber hat jede Person selbst.

Und dann warnt Nina noch: „Aber 100 Prozent sicher ist das Wundermittel nicht!“ Nicht nur das auch Kondome keinen 100prozentigen Schutz bieten – bei korrekter Einnahme der PrEP und unter regelmäßiger ärztlicher Kontrolle bietet diese Schutzmaßnahme sehr wohl einen sicheren Schutz vor dem HI-Virus. So sicher, dass die PrEP inzwischen – nach strengsten Prüfungen – auch von den gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland bezahlt wird.

Artikel und Kommentare wie dieser von Nina Queer schaden der Prävention, verunsichern Menschen und fördern in der Folge eher die Infektionszahlen.

Als ein Mensch der selbst seit rund zwanzig Jahre mit dem HI-Virus lebt, weiß ich wie sehr auch in meinem Umfeld die PrEP zu einer Verbesserung für die Safer Sex Strategie vieler Menschen geworden ist. Neben Kondomen und nebem dem Schutz durch Therpaie ergänzt die PrEP die Möglichkeiten sich wirksam vor einer Ansteckung mit HIV zu schützen.

Pauschale und schlicht falsche Aussagen wie in Nina Queers Bild-Kolumne schaffen nur Verunsicherung und verhindern die wichtige Arbeit im gemeinsamen Ziel Aids weltweit bis 2030 zu beenden.

Die PrEP leistet dazu einen enormen Anteil.

Screenshot Quelle: BILD

Unter einem der Bilder von Nina in der Kolumne steht:

Nina Queer hat zu PrEP ihre eigene Meinung und wirft den Pharma-Konzernen vor, Ängste zu schüren.“

Wer hier jedoch wirklich Ängste schürt vermag jede Person selbst zu erkennen.

My heart wil go on – für alle Menschen die Präventionsarbeit unterstützen und für die „wilden Nutten“ mit freier Fahrt.

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Rechtskräftig: Mit HIV tauglich für die Polizei

„Heute ist ein sehr guter Tag!“ sagt Jacob Hoesl. Der Kölner Rechtsanwalt gilt als einer der besten Juristen und Verteidiger wenn es um das Thema HIV & Aids geht. In vielen Fällen hat er bereits HIV-positive Menschen verteidigt und ihnen zu ihrem Recht verholfen.

Erst kürzlich sorgte der Fall eines wegen HIV abgelehnten Polizeianwärters in Niedersachsen für großes mediales Aufsehen.

Der Mann hatte sich Ende Oktober 2016 als Polizeikommissar-Anwärter beworben. Die Polizeiakademie Niedersachsen hatte seine Einstellung abgelehnt, weil er für den Polizeidienst untauglich sei.

Der Kläger wird seit mehreren Jahren erfolgreich mit HIV-Medikamenten behandelt. Das schützt seine Gesundheit. Außerdem kann in seinem Blut kein HIV mehr nachgewiesen werden.

Zurecht setzte sicher der Anwärter gegen den Ablehnungsbescheid zur Wehr und klagte. Sein Anwalt, Jacob Hoesl, erklärt heute wie der Fall ausgegangen ist:

Heute habe ich erfahren, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 23.7.2019 (13 A 2059/17), mit dem dieses entschieden hat, dass ein Anwärter zum Polizeidienst allein wegen seiner HIV-Infektion nicht abgelehnt werden darf, rechtskräftig geworden ist. Kurz: wir haben in Deutschland die 1. gerichtliche Entscheidung, dass Menschen mit HIV sowohl unter dem Gesichtspunkt des Risikos für Dritte als auch bezüglich des Erreichens der Dienstaltersgrenze polizeidiensttauglich sind. Die Polizeiakademie Niedersachsen hat trotz vollmundiger Ankündigungen keine Berufung gegen das Urteil eingelegt. Dies ist ein Meilenstein!

Natürlich ist das Urteil eines regionalen Verwaltungsgerichts nicht gleichzusetzen mit dem eines Oberverwaltungsgerichts oder gar des Bundesverwaltungsgerichts. Andererseits können andere Verwaltungsgerichte nicht kunterbunt entscheiden wie sie wollen. Auch wird es rechtlich schwierig für Dienstherren der Polizei in anderen Bundesländern oder des Bundes, diese Entscheidung zu ignorieren. Dies liegt vor allem daran, dass die Polizeiakademie Niedersachsen den HIV-positiven Anwärter allein wegen seiner HIV-Infektion zur Aufnahme in die Ausbildung zum Polizeidienst abgelehnt hat ohne sich konkret mit seiner Person und seines sonstigen Gesundheitszustands zu befassen. Sofern also keine anderen (medizinischen) Gründe vorliegen, die die Polizeidiensttauglichkeit beeinträchtigen könnten, können Menschen mit HIV sich bundesweit zum Polizeidienst bewerben. Eine Abweichung von dieser Entscheidung wird für andere Verwaltungsgerichte schwerlich zu begründen sein.

Neben diesem Gesichtspunkt für das Bewerbungsverfahren wird das Urteil vor allen Dingen für bereits verbeamtete Polizisten mit HIV, die bisher wegen HIV Benachteiligungen bezüglich ihrer Laufbahn bzw. ihres konkreten dienstlichen Einsatzes hinnehmen mussten, von Bedeutung sein. Einschränkungen wegen HIV werden von den polizeilichen Dienstherren kaum noch zu rechtfertigen sein. Dies wird wohl der noch größere Anwendungsbereich dieser Entscheidung sein. Natürlich wird dies nicht Benachteiligungen im Einzelfall beseitigen, aber das Urteil hilft, sich dagegen zu wehren. Ich darf mich vielleicht vorsichtig aus dem Fenster lehnen und sagen, dass wir auch bald dieses letzte dicke Brett der institutionellen Diskriminierung von Menschen mit HIV bald durch haben.

Wir haben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten viel erreicht. Wir haben erreicht, dass Menschen mit HIV von wenigen Ausnahmen abgesehen uneingeschränkt im Gesundheitsbereich und vergleichbaren Berufsfeldern arbeiten können. Wir haben erreicht, dass Menschen mit HIV uneingeschränkt in ein Beamtenverhältnis übernommen werden. Wir haben erreicht, dass Menschen mit HIV uneingeschränkt im Bereich der Bundeswehr als Soldaten oder Offiziere tätig sein können. Wir haben erreicht, dass HIV unter das Merkmal der „Behinderung“ des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) fallen und geschützt werden. Wir haben (so gut wie) erreicht, dass Menschen mit HIV, deren Viruslast therapiebedingt stabil unter der Nachweisgrenze liegt, keine strafrechtlichen Verurteilungen mehr fürchten müssen. Und bald haben wir erreicht, dass Menschen mit HIV auch uneingeschränkt in den Polizeidienst gehen können.

Auch wenn dies alles alltägliche Diskriminierung von Menschen mit HIV nicht wegzaubert, haben wir nunmehr auf allen institutionellen Ebenen Instrumente, um sich hiergegen zu wehren.

Noch einmal mein tiefer Dank an meinen jungen Mandanten, der die Kraft, den Mut und die Ausdauer aufgebracht hat, diesen Weg (mit mir) zu gehen.

Ich muss gestehen, ich bin etwas ergriffen bei dem Gedanken, dass wir die grundlegenden Probleme institutioneller Diskriminierung von Menschen mit HIV nunmehr (bald) gelöst haben. Bald ist unsere – und damit auch meine – Arbeit in diesem Bereich getan. Das ist irgendwie ein gutes Gefühl, wenn ich ehrlich bin.

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BrexHIV: Die zweite Heilung eines HIV-Patienten

  • Der zweite Mensch weltweit ist nach einer Stammzellen-Transplantation von HIV geheilt.
  • Ob die Heilung von Dauer ist, steht dennoch nicht fest
  • Es handelt sich um einen außergewöhnlichen Einzelfall

Erst im letzten Jahr durfte ich im Rahmen der Welt-Aids-Konferenz Timothy Ray Brown persönlich kennenlernen. Er war vor mehr als zehn Jahren in der Berliner Charité von HIV befreit worden und ist unter dem Namen „Berliner Patient“ weltweit bekannt geworden.

Jetzt gelang es zum zweiten Mal Ärzt_innen in London das HI-Virus aus dem Körper eines Mannes nach einer Stammzellentranplantation zu entfernen. Der Patient erhielt die Behandlung in Folge einer Krebserkrankung. Drei Jahre nach der Stammzelltransplantation können die Forscher_innen im Blut des Patienten immer noch keine Virsupartikel nachweisen – eine Sensation.

Somit wäre der „Londoner Patient“ der zweite Mensch weltweit bei dem es gelungen ist, das HI-Virus dauerhaft aus dem Körper zu entfernen – die Person gilt in diesem Fall als von HIV „geheilt“.

Dürfen rund 37 Millionen Infizierte weltweit nun große Hoffnung hegen?

Eher nicht, meinen die Fachleute – denn in beiden Fällen waren besondere Umstände gegeben, die auf nahezu keine der Millionen HIV-Patient_innen zutreffen.

Ein besonderer Patient

Bereits 2003 wurde der Londoner Patient mit HIV diagnostiziert, im Dezember 2012 erkrankte er an Lymphdrüsenkrebs, einem Hodgkin-Lymphom. Die behandelnden Ärzte gaben ihm verschiedene Chemotherapien, die nicht recht anschlugen. Das einzige, was Hilfe versprach: eine Knochenmarktransplantation, mit der das Immunsystem des Patienten ausgetauscht werden sollte. Damit sollten auch die Krebszellen des Patienten, die aus Immunzellen entstanden waren, verschwinden. Weil eine Transplantation mit eigenen Stammzellen – die Option, die Medizinerinnen und Mediziner wegen der geringeren Nebenwirkungen bevorzugen – nicht möglich war, suchten die Ärzte in einem Knochenmarkregister nach einem Spender oder einer Spenderin.

Auf der Liste entdeckten sie eine Person, die ihre Hoffnungen hochgeschraubt haben dürfte. Der potenzielle Spender passte nicht nur genetisch recht gut zum Londoner Patienten, sondern hat auch auch noch von Natur aus eine Besonderheit in seinen Genen: Viele HIV-Stämme können ihm nichts anhaben. Eine Mutation des CCR5-Gens, das für ein Oberflächenprotein auf Immunzellen des Körpers kodiert, macht ihn resistent gegen viele HI-Viren. Das CCR5-Gen braucht das Virus (neben einem anderen Rezeptor), um in die Zellen des Immunsystems hineinzuschlüpfen. Wer wie der Spender und mit ihm nur rund ein Prozent aller Europäer zudem beide Varianten des CCR5-Gens hat, dessen Immunzellen tragen das Protein nicht auf ihrer Oberfläche. HIV hat deswegen keine Chance, die Zellen zu infizieren, es kommt schlicht nicht in sie hinein. Selbst wenn das Virus noch im Körper steckt, so die Hypothese, kann es keinen Schaden mehr anrichten. Quelle: Zeit

Somit bleibt die Hoffnung trotz der aktuellen Euphorie der Medien über diese Heilung für die HIV-Community erstmal gedämpft. Zum Thema „Kommt die HIV-Heilung?“ habe ich auch mit dem Medizinreferenten der Deutschen AIDS-Hilfe Armin Schafberger ein Video-Interview geführt.

Du findest das Interview hier:

https://flosithiv.com/2018/07/26/kommt-die-hiv-heilung/

14.000 HIV-Positive zwangsgeoutet

Wie heute Nachmittag durch dpa und andere Agenturen gemeldet, sind gegen deren Willen die Namen tausender HIV-Patienten ohne deren Zustimmung an die Öffentlichkeit gelangt.

Das Datenleck betrifft Menschen weltweit – rund 14.000 HIV-infizierte Personen seien betroffen. Verursacher dieser öffentlichen Bekanntmachung sensibler Daten ist nach ersten Angaben ein 33-jähriger US-Amerikaner.

Dieser soll die Daten von einem 36-jährigen Arzt aus Singapur, mit dem er zusammen war, gestohlen und ins Internet gestellt haben. Zum Motiv wurde bisher noch nichts bekannt.

Rausch und Reue

Soeben erschien das life+ Magazin für das ich im Nachgang der Positiven Begegnungen in Stuttgart einen Artikel verfassen durfte. Hier gibts zum Nachlesen meinen Beitrag mit dem Titel „Rausch und Reue“:

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Aktuell erschienen: Das life+ Magazin.
Herzausgeber: Deutsche AIDS-Hilfe

Rausch und Reue

Sex wie auch der Konsum von Drogen sind in der Gesellschaft immer noch tabuisiert und deshalb begleitet von Scham und Beschämung. Die Auswirkungen können einschneidend sein und sind vielen dennoch nicht bewusst.

Sex zu einer schmutzigen Sache zu machen, ist das Verbrechen unserer Zeit. Wir brauchen Liebe und Hingabe an uns, an Sex, denn Ficken ist ein Sakrament der Freude.“ Dieses Zitat des englischen Schriftstellers D. H. Lawrence ist zwar schon über 100 Jahre alt, doch es ist weiterhin gültig und bringt einen wichtigen Kern des Themenstrangs „Sex, Drugs und Safer Sex 3.0“ auf den Punkt: Der Mensch an sich ist ein verklemmtes Wesen – der eine mehr, die andere weniger –, und auch über 100 Jahre nach Entstehen des Zitats hat dessen Aussage nicht an Wahrheit verloren.

Entsprechend anregend und erhellend war es, sich im Rahmen der Positiven Begegnungen mit genau diesem Themenfeld zu beschäftigen. Menschen mit HIV wird oft ein besonders ausschweifendes Sexleben nachgesagt, sie werden teilweise sogar darauf reduziert. Aber ist das auch so? Oder ist das ganze viel weniger interessant als vermutet?

Fest steht: Sex ist in unserer Gesellschaft nach wie vor tabuisiert. Und auch der Gebrauch von Drogen, insbesondere der politisch festgelegten illegalen Substanzen, wird von einem Großteil unserer Gesellschaft sanktioniert. Umso spannender war eine von dem Psychiater und Mitarbeiter des Beratungsteams der Schwulenberatung Berlin Jan Großer geleitete Diskussion zu diesem Komplex. Spannend gerade auch, weil die Mehrzahl der Anwesenden Lust und Genuss an beiden tabuisierten Themen hatten: Sex und Drogen.

Das Gefühl der Scham begleitet uns durchs ganze Leben

Ich möchte an dieser Stelle nicht beurteilen, warum es vor allem Männer, die Sex mit Männern haben (MSM) sind, die scheinbar eine besondere Affinität zu bewusstseinsverändernden Substanzen haben. Für mich selbst aber habe ich, was meine eigenen bisherigen Konsummuster angeht, auf der diesjährigen PoBe eine Antwort auf eine Frage gefunden, die ich mir bislang noch gar nicht gestellt hatte.

Scham und Beschämung sind seit diesem PoBe-Workshop die zentralen Begriffe, wenn ich für mich selbst ehrlich nach Erklärungen für mein Konsumverhalten suche. Ich habe gelernt, dass Scham bereits ab dem zweiten Lebensjahr und somit ab dem Bewusstwerden der eigenen Individualität in unser Leben rückt. Ab diesem Moment begleitet uns die Scham unser Leben lang. Ob wir beim Unterricht ohne Hausaufgaben oder bei der Fahrkartenkontrolle ohne Ticket erwischt werden – oder eben unsere sexuellen Bedürfnisse ausleben: die Scham begleitet uns. Dabei ist sie ein natürlicher und wichtiger Wert und schützt die Grenzen der Intimität – sowohl die eigenen, als auch die der anderen. Sie hindert uns, im Tagebuch der eigenen Kinder zu lesen oder das Handy des Partners zu durchstöbern. Wir würden uns im Normalfall dafür schämen– vor uns selbst.

Ganz anders die Beschämung. Sie erfolgt von außen, kann in Form von Demütigung, Ausgrenzung oder Verletzung von Grundbedürfnissen, wie Anerkennung, Schutz oder Zugehörigkeit über uns hereinbrechen. Beides – Scham und Beschämung – hemmt unser freies Sexualleben ungemein. Mehr und mehr werden eigene Bedürfnisse, die der Befriedigung dienen, aufgrund dieser beider Faktoren zurückgestellt. Angeregt durch die Gruppendiskussion stellte ich mir selbst die Frage: Wie sehr sorgt der Konsum von Drogen in meinem eigenen Sexualleben dafür, das Gefühl von Scham und Beschämung zu verdecken?

Frei sein von Hemmungen, Scham und moralischen Zwängen

Hemmungen fallen zu lassen, sich frei zu fühlen, die Alltagsperson hinter sich zu lassen – all das kann eine Rolle im Konsumverhalten spielen. Drogen können zu einer solchen frei gelebten Sexualität ebenso einen Beitrag leisten wie sogenannte „karnevalistische Räume“. Räume, die nach eigenen Regeln und Ritualen funktionieren, in denen übliche Regeln und Moralvorstellungen nicht gelten und für deren Nutzer_innen sie gleichermaßen Fantasie- und Schutzraum darstellen und einen Ausbruch aus der Realität ermöglichen. Ob Sexclub, Mottopartys oder das heimische Spielzimmer; ob wir mit dem Anlegen von Fetischkleidung oder durch die Einnahme von Drogen in eine andere Welt springen, der Effekt ist der gleiche: Wir klinken uns für eine Zeit aus einer Welt aus, die voller Diskriminierung und Stigmatisierung, voller Ratschläge und Belehrungen darüber ist, was richtig, was falsch, was gut und böse ist.

Chemsex-Partys erfüllen gleich mehrere Bedürfnisse

Diese Distanz vom Alltag, ganz gleichgültig, ob sie durch bestimmte Kleidung, Orte, Rituale oder Drogen erreicht wird, kann wunderbar für unser Sexualleben sein. Denn sie gestattet uns, schamlos zu sein und kann helfen, Hemmungen zu überwinden und die Scham wie die Beschämung auszublenden. Das trifft im besonderen Maße zu, wenn für die Erfüllung der eigenen sexuellen Bedürfnisse hohe (äußerliche) Anforderungen gestellt werden. Immer wieder deutlich zu erleben ist das innerhalb der MSM-Community und den Möglichkeiten der neuen digitalen Medien: Welche Form von Männlichkeit, Fitness und Körperlichkeit etwa muss ich bei Dating-Plattformen wie Planetromeo, GrindR und Scruff aufbieten, um beim Online-Cruising nicht gleich durchs Raster zu fallen und gar nicht erst gesehen zu werden?

In der Summe wundert es da nicht, dass der Chemsex, also Sex in Verbindung mit bestimmten Drogen, in der schwulen Community viele User so nachhaltig erfüllt. Lustgewinn, Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, Enthemmung und karnevalistischer Raum in einem – wer kann da noch der Chemsex-Party widerstehen, die all diese Anforderungen im Kern vereint?

Scham und Beschämung sind der Anfang eines Strudels, in dem manche weiter oben und manche weiter unten mitschwimmen. Für mich war der PoBe-Workshop eine tiefgreifende Erfahrung – fast so schön wie ein ordentlicher Rausch.

Florian Winkler-Ohm ist HIV-Aktivist und engagiert sich ehrenamtlich für Hilfsangebote zugunsten drogengebrauchender Menschen. Er hält Vorträge im Bereich „Drugs & Harm Reduction“ in Aidshilfen, Schulen, Gesundheitsämter und für die Pharmaindustrie.

Nächster Termin: 29. Januar IDEA Pharma, London