Ist das nicht eine großartige Entwicklung, sich ernsthaft darüber Gedanken machen zu kön nen, ob HIV-Hilfe nicht der passendere Begriff ist. Zeigt nicht allein diese Tatsache, dass wir in Deutschland dank sehr guter medizinischer Versorgung den ersten wichtigen Schritt erreicht haben: Den Ausbruch von Aids in den meisten Fällen zu verhindern und die HIV- Infektion zu einer chronischen Erkrankung zu machen, mit der es sich leben lässt.
Ich bin kein Freund vom Verweilen in der Vergangenheit. Ich bin deutschlandweit unterwegs um HIV-Prävention zu betreiben: In Schulen, auf Straßenfesten, auf CSDs: Und auch wenn es einige vielleicht nicht gerne hören: Aus vielen Gesprächen mit jungen Menschen an unseren Präventionsständen kann ich Ihnen sagen: Die Schreckensbilder die Aids noch vor einigen Jahren ausgelöst hat, existieren in den meisten Köpfen der heutigen Jugend nicht mehr.
Ob das schlimm ist werden Sie sich jetzt fragen? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass wir lernen müssen HIV 2.0 so zu handeln wie es ist. Insbesondere wenn wir aus aktuellen Stu- dien immer noch die massive Diskriminierung und Ausgrenzung von HIV-Positiven erfahren müssen. Wir müssen Tage wie diesen auch nutzen, neben der so wichtigen Erinnerung, der Trauer und dem Gedenken an unsere lieben Freunde, der Öffentlichkeit klar zu sagen: Passt auf, HIV hat sich verändert.
Es ist nicht mehr wie in der x-fachen Wiederholung des zweifelsohne guten Films „Philadelphia“. Wir sterben nicht mehr. Ansteckungswege und Risikofaktoren sind heutzutage klar erforscht. Und dann gibt es noch die neue Erkenntnis, die nur schwierig zu kommunizieren ist: Der Schutz durch Therapie ist wirksamer als durch ein Kondom, wenn wir andere STIs außen vor lassen.
Mein Auftrag als HIV-Positiver ist es, dieser Infektion ein neues, realistisches Bild zu geben. Ein Bild das zum Weltaidstag 2013 passt. Denn wenn wir gegen Stigmatisierung und Diskriminierung ankämpfen wollen und etwas in der Gesellschaft verändern wollen, müssen wir diesen wichtigen Tag auch hierfür nutzen.
Und dabei ist es meines Erachtens wichtig, wie ich selbst hierüber kommuniziere. Erst gestern habe ich eine Anfrage eines Magazins anlässlich des Weltaidstags erhalten, die gerne ein Interview mit einem Aidskranken führen wollten. Nach der Beantwortung des Fragekata- logs dachte ich so für mich, wie unspektakulär. Keine nennenswerte Nebenwirkungen, ein Freundeskreis der darüber Bescheid weiß, Eltern die inzwischen im Thema sind, keine Kur, keine Frührente, nichts.
Bin ich überhaupt noch der geeignete Interviewpartner für einen Weltaidstag? Und dann sehe ich mich in meinem Bekanntenkreis um, erlebe in vielen Fällen das gleiche Bild.
HIV 2.0 – und das Leben geht weiter – wäre das ein Zukunftstitel?

Der aufräumt mit alten Klischees und der klar macht, dass in vielen Fällen heute HIV nicht mehr das prägende Thema in aufflammenden Beziehungen ist. Ich selbst empfinde die Entwicklung äußerst positiv. Es ist jedem selbst überlassen wie er mit seiner Infektion umgeht.
Die Entscheidung die ich selbst als HIV-Positive jedoch treffen möchte, ist die, wie ich – insbesondere an einem Welt-Aids-Tag – mit meiner Infektion umgehe und welches Bild ich hierüber in der Öffentlichkeit präsentieren möchte.
Ja, auch ich habe gute und enge Freunde an den verlorenen Kampf gegen Aids verloren. Und ja, es gibt nach wie vor zu viele Patienten die an den Folgen der Infektion trotz hochwirksamer Therapieansätze scheitern. Bei allem Gedenken an diese Tragik möchte ich den- noch, dass der Weltaidstag und ich als Botschafter dieses Tages der breiten Öffentlichkeit – die wir durch diesen Tag erreichen möchten – auch ein zeitgemäßes und realistisches Bild über die Infektion geben darf.
Und wenn Sie so wollen, dann stehe ich heute hier stellvertretend für all die Menschen in Deutschland die trotz ihres positiven HIV-Status ein normales, ein gesundes und erfülltes Leben führen: All diejenigen die die Frage „Wie geht es dir?“ Mit „bestens“ beantworten würden.
Klar gibt es immer wieder Hindernisse und Rückschläge. Ich erinnere mich an unangenehme Ereignisse, wie die Tatsache vor rund zwei Jahren mit der klaren Aussage dass ich HIV-Positiv sei, keinen Zahnarzttermin bei vier verschieden Praxen in meiner alten Heimat Augsburg bekommen zu haben. Alle vier habe ich veröffentlicht. Alle vier haben sich entschuldigt. Es ist an der Zeit das wir das Unwissen und die unbegründete Angst im Umgang nicht weiter hinnehmen. Es ist Zeit dass wir aufräumen mit „alten Bildern“ und falsch behafteten Klischees.
HIV ist, was du draus machst – fände ich einen tollen Slogan für den nächsten Weltaidstag.
Denn wer wenn nicht wir können einen entscheidenden Beitrag dazu leisten das Bild über HIV und damit auch die einhergehenden Diskriminierungen und Stigmatisierungen zu verändern.
Wenn Sie alle nun gleich zum Gedenkmarsch aufbrechen, lade ich Sie herzlich dazu ein, gleichermaßen aufzubrechen in ein neues HIV-Zeitalter. In denen wir Unwissenden nicht als erstes vom Tod und dem Leid der 80er, sondern von den Chancen und den neuen Möglichkeiten des Jahres 2013 erzählen. Erst wenn uns das in breiter Front gelingt, dürfen wir Veränderung in der Gesellschaft erwarten.
Hier in der ehrwürdigen Paulskirche in Frankfurt wurden schon einmal wichtige Veränderungen in Deutschland beschlossen. Sie alle die Sie heute Abend hier teilnehmen sind Botschafter, ja Multiplikatoren für HIV 2.0.
Lassen Sie uns gemeinsam voller Optimismus und Zuversicht und in dem Wissen darum, dass es noch viele Hindernisse zu überwinden gibt, an dem Ziel arbeiten das der Umgang mit HIV-Infizierten zur normalsten Sache der Welt wird. Und helfen Sie mit, dass auch der Weltaidstag nicht nur zu einem Tag der Trauer und des Gedenkens sondern auch zu einem Tag der Zuversicht und der Aufbruchsstimmung in einen neuen selbstbewussten und selbstverständlichen Umgang mit diesem Thema wird.
HIV ist, was du draus machst. In diesem Sinne Ihnen einen Guten Abend und vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Frankfurt am Main, den 1. Dezember 2013
Florian Winkler-Ohm
Journalist & Präventionist, Berlin